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Diskussionsbeitrag

Methoden der Ursprungsforschung: Was spricht für Intelligent Design?

Zur Debatte über Evolution und Intelligent Design


Intelligent Design

Der Evolutionsgegner Reinhard Junker hat für eine Homepage einen Gastbeitrag verfasst, der sich mit der Wissenschaftlichkeit des Kreationismus und der "Intelligent-Design-Theorie" auseinandersetzt. Darin wird der Versuch unternommen, Wissenschaft so zu definieren, als sei der Verweis auf transnaturale und teleologische Wirkfaktoren prinzipiell mit wissenschaftlichen Grundsätzen vereinbar, ja sogar erforderlich, will man sich nicht dem Vorwurf aussetzen, eine voreingenommene, dogmatisch-naturalistische Wissenschaft zu betreiben. In dem Text werden zwei Hauptargumente präsentiert, die schon deshalb eine nähere Betrachtung wert sind, weil sie in dieser oder ähnlicher Form immer wiederkehren. Auf sie soll im Folgenden eingegangen werden.

Das Methodeninventar in der "Ursprungsforschung": Was spricht für Intelligent Design (ID)?

Junker behauptet, in Ursprungsfragen sei es das Ziel, "die Ursachen … für die beobachteten Phänomene herauszufinden. Eine Beschränkung auf ausschließlich natürliche Ursachen wäre hier eine folgenreiche Vorentscheidung über das, was man überhaupt herausfinden kann." Zudem gebe es "schwerwiegende Verdachtsmomente", ja sogar "überwältigende" Hinweise darauf, dass noch andere als natürliche Ursachen für die Entstehung der beobachteten Phänomene in Betracht kämen. "Natürliche Gesetzmäßigkeiten" (was immer man darunter verstehen soll) dürften daher nicht von vornherein als ausreichend betrachtet werden. Dieses Argument stützt sich auf die Annahme, bestimmte biologische Merkmale sähen so aus, als seien sie durch einen "intelligenten Urheber" hervorgebracht worden. Doch worauf gründen sich die "schwerwiegenden Verdachtsmomente", die einen Wissenschaftler zu der Schlussfolgerung veranlassen sollten, dass es sich bei bestimmten Objekten um Artefakte handelt?

Als Antwort wird von den ID-Vertretern immer wieder auf die vernetzte Komplexität und funktionelle Interdependenz der Komponenten eines untersuchten Objekts verwiesen, so auch bei Junker. Ob es sich bei diesen Merkmalen aber tatsächlich um die für den Analogieschluss relevanten Eigenschaften handelt, darf bezweifelt werden, denn einerseits erkennen wir schon an ganz einfach strukturierten Gegenständen, wie z.B. Tonscherben, Mauerresten oder Skulpturen, dass sie von Menschen hergestellt wurden. Andererseits fehlen derartigen Artefakten von vorne herein alle für eine Entwicklung notwendigen Eigenschaften (z.B. die Fähigkeit zur Selbstorganisation, Reproduktion und Mutabilität), so dass hier eine Evolution gar nicht infrage kommen kann, während Organismen jedoch genau diese für eine Evolution notwendigen Eigenschaften besitzen. Die Frage, ob Organismen komplex ineinander verschachtelte Merkmale aufweisen, ist demnach überhaupt nicht relevant - es sei denn, man könnte tatsächlich nachweisen, dass diese komplexen Strukturen aus naturgesetzlichen Gründen nicht ohne planenden Eingriff entstehen können.

Was aber wurde von den Evolutionskritikern bisher gezeigt? Gezeigt wurde a.), dass die meisten evolutionären Modelle nicht hinreichend sind, um die Evolution vollständig zu erklären und b.), dass sich evolutionäre Szenarien niemals mit mathematischer Sicherheit wirklich beweisen lassen. Daraus kann man letztlich nur folgern, dass wir bestimmte Vorgänge bisher noch nicht ausreichend verstehen, nicht aber, dass die Gesetzmäßigkeiten und Randbedingungen so geformt sind, dass die Existenz "irreduzibel komplexer" Merkmale eine natürliche Schranke für die Evolution darstellt.

Um diese These mithilfe des wissenschaftlichen Methodeninventars (objektiv) zu erhärten, stehen prinzipiell drei Möglichkeiten zur Verfügung: Die erste Möglichkeit besteht darin zu zeigen, dass es sich bei den postulierten (transnaturalen) Schöpfungsakten um eine Erfahrungstatsache handelt. In diesem Fall müsste es möglich sein, die Frage zu beantworten, welche(r) Designer wann und auf welche Weise was konkret erschaffen habe. Es bedarf jedoch keiner Erwähnung, dass bei Organismen, bei denen sowohl die individuelle als auch die genealogische Entwicklung ohne erkennbaren planerischen Eingriff vonstatten geht, Planung nicht als Erfahrungstatsache bezeichnet werden kann. Hier geht der Punkt eindeutig an die Evolutionstheorie bzw. an die naturalistische Position, die nicht mehr behauptet, als zum Verständnis des Gesetzesnetzes der Natur ungedingt erforderlich ist.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, Intelligent Design so auszuformulieren, dass es über ein System von Gesetzesaussagen und Mechanismen verfügt, die sich derart konsistent und erklärungsmächtig in die Wissenschaftslandschaft eingliedert, dass es eine ernstzunehmende Konkurrenz zu evolutionären Betrachtungen darstellt. Üblicherweise beschreiten die Evolutionsbiologen diesen Weg, und alle anderen Wissenschaftler tun es ihnen gleich. Dieser Weg bleibt den ID-Anhängern jedoch ebenfalls versperrt, da sie über keinerlei methodologische Handhabe zur Beschreibung und Erklärung des postulierten Schöpfungsaktes verfügen. Sämtliche Spekulationen setzen den unbedingten Glauben an bis dato unbekannte und gänzlich unerforschliche Wirkfaktoren voraus. Zur Veranschaulichung dienen bestenfalls Analogien mit der Technik, die aber in entscheidenden Punkten hinken und a-priori-"Wissen" voraussetzen, das sich nicht objektiv begründen lässt. Auch dieser Punkt geht an die Evolutionstheorie.

Damit bleibt nur der dritte, ungleich steinigere Weg, um die Existenz "irreduzibel komplexer" Merkmale in ein Argument für Intelligent Design zu verwandeln: Man müsste alle denkbaren "Pfade" der organismischen Entwicklung kennen und zeigen können, dass bestimmte Merkmale unter den einst herrschenden Randbedingungen nicht entstehen konnten. Aus nahe liegenden Gründen ist aber auch diese Bürde kaum zu schultern; zumindest konnte der Nachweis bislang nicht geführt werden.

Evolution oder Intelligent Design: Wer trägt die Beweislast?

Um das eben genannte Trilemma zu überspielen, wird nun in der Regel einfach das vorausgesetzt, was es zu begründen gilt, um dann die Begründungslast auf die Schultern der Evolutionsbiologen zu hieven: Nicht die ID-Vertreter müssen zeigen, dass bestimmte Merkmale nicht evolvieren können, sondern die Evolutionsvertreter müssen "beweisen", dass Intelligent Design eine illusionäre Spekulation sei. Um dies zu erreichen, begnügt man sich weder mit (wissenschafts-) philosophischen Betrachtungen, noch mit plausiblen evolutionären Modellvorstellungen; einzig der experimentelle Nachweis der Entstehung solcher Merkmale wird als Beleg anerkannt.

Letztlich stellt dies aber eine ultimative Immunisierungsstrategie dar: Die ID-Vertreter wissen nur zu genau, dass evolutionäre Erklärungen nie derart hinreichend sein können, um die Entstehung bestimmter Systeme vollständig zu erklären. Außerdem lässt sich die Entstehung von Merkmalen, für die die Natur üblicherweise Jahrmillionen braucht, niemals in allen Details im Labor rekonstruieren. Die Frage, mit welchem Grad der Sicherheit sich diese oder jene Hypothese beweisen lasse oder wie spekulativ und unsicher diese oder jene Zusatzannahmen der Evolutionsbiologen noch seien, ist in diesem Zusammenhang aber gar nicht wichtig, denn letztlich geht es im Rahmen wissenschaftlicher Überlegungen immer um Plausibilitäten sowie um die Frage, wer begründungspflichtig ist: Was ist empirisch plausibler: der "Anschein von Planung" oder eine natürliche Evolution"?

Um die Situation zu beurteilen, muss man sich folgende Aspekte vor Augen führen: Nach heutigem Wissen sind alle notwendigen Komponenten für eine evolutionäre Erklärung vorhanden: Erstens kennen wir eine Fülle von Mechanismen (z.B. Genduplikation, Genmutation, Exon-shuffling usw.), um die Bildung neue Gene zu erklären. Zweitens kennen wir Regulationsmechanismen, um die Entstehung morphologischer Neuheiten zu erklären. In vielen Fällen können wir sogar Randbedingungen und Selektionsdrücke formulieren, um modellhaft zu erklären, über welche Zwischenschritte - unter Wahrung von Funktionalität und Adaptivität - bestimmte Merkmale (wie z.B. das Blutgerinnungssystem) entstehen konnten, die nach Maßgabe der ID-Vertreter so aussehen, als wären sie "irreduzibel komplex". Viele dieser Modellvorstellungen fügen sich zudem harmonisch in das bestehende Theorien-Netzwerk ein und erlauben konkrete Vorhersagen, die bestätigt wurden.

Angesichts all dieser Tatsachen, kann ein unvoreingenommener Wissenschaftler nicht nur mit Fug und Recht den Schluss ziehen, dass der Reproduzierbarkeit und Variabilität der Organismen die Potenz zur Makroevolution innewohnt. Vielmehr darf man unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ID weder über ein System aus Gesetzesaussagen und Mechanismen, noch über ein Forschungsprogramm verfügt, auch feststellen, dass nichts für Intelligent Design spricht, sondern alles auf eine natürliche Evolution hindeutet. Mit anderen Worten: Wer den massiven "Anschein von Evolution" als "Illusion" entlarven möchte, trägt die Begründungslast!

Selbst dann, wenn es gelänge, im Labor künstlich Leben zu erzeugen, hätten wir kein Argument zur Hand, welches den Schluss auf einen Planer rechtfertigt. Warum nicht? Weil uns weder das kulturelle noch das technische Hintergrundwissen, noch sonst ein Befund Anhaltspunkte dafür liefert, dass die Arten erschaffen wurden. Und während wir in der Evolutionsbiologie die experimentell erschlossenen Mechanismen in die Vergangenheit extrapolieren können, wissen wir nicht einmal, ob der hypothetische Designer überhaupt an Gesetze gebunden ist und falls ja, an welche.

Über all dies liest man bei Junker aus nachvollziehbaren Gründen nichts. Überhaupt ist seine wissenschaftstheoretische Basis ausgesprochen schwach. Wo ist denn nun das "Methodeninventar", das ID als respektable wissenschaftliche Disziplin auszeichnet? Wo sind denn die so euphorisch verheißenen Forschungsgebiete und Forschungsmethoden, von denen ID profitieren könnte?

Die einzigen halbwegs nachvollziehbaren Argumente lauten, dass ID nicht zwangsläufig "Forschung verhindere" und dass es "verfehlt wäre, in Ursprungsfragen nur die Suche nach natürlichen, durch Gesetze beschreibbare Ursachen zuzulassen". Gewiss: Falls es einen Designer gäbe, hätte Junker Recht. Es ist ihm aber nicht gelungen, plausibel zu erklären, welcher Sinn darin bestehen soll, transnaturale oder teleologische Wirkfaktoren, für deren Beschreibung und Erklärung keine Handhabe existiert, die sich jedweder Überprüfung - ja selbst der Forderung nach intersubjektiven Nachvollziehbarkeit - entziehen, in wissenschaftliche Theorien einzubauen.

Eine Wissenschaft, die den Anspruch erhebt, die tieferen Schichten der Wirklichkeit unvoreingenommen und so objektiv wie möglich zu rekonstruieren, kann sich nicht auf geglaubte Wahrheiten, die nur auf subjektiven "Erkenntnismethoden", wie Intuition, Offenbarung und mystische Schau beruhen, noch auf teleologische Deutungen oder auf den Vorwurf stützen, der Naturalist könne etwas prinzipiell nicht erklären. Hier sollte der Nichtnaturalist zeigen, dass seine Position besser begründet ist als die entsprechende naturalistische Position.

Und richtig: Die teleologische Denkweise mag eine gewisse heuristische Wirkung entfalten, indem gefragt wird: "Wozu ist dieses oder jenes Organ da?" Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass solchen Fragestellungen nur aus teleologischer Perspektive nachgegangen würde, denn funktionelle Aspekte sind auch für das Verständnis der Möglichkeiten und Grenzen der Evolution von Bedeutung.

Zudem liefert die teleologische Betrachtung - das wusste schon Francis Bacon - "der Tendenz nach einen abgeschlossenen und damit die Forschung wenig stimulierenden Entwurf des Gegenstands. So führt die teleologische Beurteilung der Organismen in der Biologie zu den immer gleichen 'ultimaten Zwecken' der Selbsterhaltung und Fortpflanzung; diese können jedoch in einer Vielzahl von kausalen Wegen verwirklicht werden. Die teleologische Betrachtung führt daher das Fragen eher an ein Ende, während die kausale zu immer weiteren Fragen animiert".

Mit einem Wort: Junkers Denkstrukturen führen nicht über das Staunen über die komplexen Gefüge lebender Organismen hinaus; sie enden in einer Sackgasse. Die eigentlich interessanten Fragen bezüglich der Natur des Entstehungsprozesses (ID) können im Rahmen der empirischen Wissenschaft nicht untersucht werden.

Verfehlte Vergleiche? Über die Rekonstruktion historischer und gegenwärtiger Entitäten

Ein weiteres zentrales Argument in Junkers Text lautet, es sei unsinnig - ja sogar "grob irreführend" - den methodologischen Status historischer Theorien wie der Evolutionstheorie mit dem der empirischen "Gegenwartswissenschaften" zu vergleichen. Damit soll die Behauptung angefochten werden, die Evolutionstheorie sei ebenso gut begründet, wie etwa die Atomtheorie. Er erklärt sich dazu wie folgt:

Vergleiche dieser Art sind grob irreführend. Zum einen handelt sich um einen Vergleich einer historischen Theorie mit einer Strukturtheorie, in welcher der Zeitaspekt keine Rolle spielt … Hier wird also der Unterschied zwischen einer Wie-Frage (hier: Aufbau der physikalischen Welt) und der Woher-Frage nicht beachtet. Doch davon abgesehen stellt sich ganz einfach die Frage, ob es empirische Gründe gibt, eine Theorie - um welche es auch immer sich handelt - kritisch zu hinterfragen. Weshalb sollte Kritik an der Evolutionstheorie nicht zur Sprache kommen, nur weil es keine Kritik an der Atomtheorie oder dem Periodensystem der Elemente gibt? Was hat die eine Theorie mit der anderen zu tun? Vergleiche dieser Art dienen dem Schutz der Evolutionstheorie vor fundamentaler fachlicher Kritik; sie sind Teil einer Immunisierungsstrategie, die ideologische Züge trägt.

Sieht man einmal davon ab, dass der Begriff "Strukturtheorie" weniger im Bereich der Naturwissenschaften üblich ist, sondern eher in der Mathematik, Informatik, der allgemeinen Systemtheorie oder in den Sozialwissenschaften anzusiedeln ist, dass ferner in den empirischen Wissenschaften alle "Woher-Fragen" automatisch "Wie-Fragen" sind und dass gerade der "Zeitaspekt" eine herausragende Rolle bei der Beschreibung und Erklärung aller Naturerscheinungen spielt, gehen Junkers Argumente am Kern der Sache vorbei.

Junker mag ja recht damit haben, dass in den "historischen" Wissenschaften bezüglich der Datenerhebung gewisse Einschränkungen gelten. Die Stammesgeschichte kann z.B. als solche nicht experimentell wiederholt werden, und auch die Datengewinnung ist bei Naturbeobachtungen nur beschränkt möglich. Auch Vorhersagen sind aufgrund der konstitutiven Rolle des Zufalls selten möglich, während in den "harten Naturwissenschaften" in vielen Fällen reproduzierbare Experimente durchgeführt werden können, wobei auch die Randbedingungen zu einem gewissen Grad frei wählbar sind. Rechtfertigen aber diese trivialen Dinge den Schluss, dass bei der Rekonstruktion eines historischen Vorgangs nach grundsätzlich anderen methodologischen Prinzipien vorgegangen wird, als bei der Rekonstruktion etwa der atomaren Wirklichkeit? Lassen die quantitativen Beschränkungen bei der Datenerhebung in den historischen Wissenschaften die Behauptung begründet scheinen, dass die durch sie gewonnenen Erkenntnisse auch nur um ein Jota unsicherer, hypothetischer oder mehrdeutiger sind, als die theoretischen Interpretationen in den "Gegenwartswissenschaften"?

Mitnichten. Junker übergeht in seinen Ausführungen, dass "Geschichts-" und "Gegenwartsforscher" vor demselben erkenntnistheoretischen Problem stehen, das die methodologische Gleichbehandlung ihrer Fragestellungen erzwingt: Beide haben einen jenseits aller Erfahrung liegenden Gegenstand zu rekonstruieren.

Es ist, um einmal ein Beispiel zu wählen, völlig unmöglich, die Existenz von Atomen rein durch die experimentelle Erfahrung zu beweisen, denn Atome sind grundsätzlich nicht direkt wahrnehmbar. Der Chemiker muss aus einem experimentell gewonnenen Datensatz (wie z.B. aus einem Elementspektrum) die relevante Information sozusagen aktiv "herausfiltern". Dies kann er nur, indem er das, was er wahrnimmt, mit einer Reihe hypothetischer Vorstellungen verknüpft, die ihm quasi "vorgeben", wie er das Wahrgenommene zu interpretieren hat. Er muss - um beim konkreten Beispiel zu bleiben - das Elementspektrum mit bestimmten Vorstellungen über den Aufbau und über die Vorgänge im Atom verknüpfen, sowie einen bestimmten Teil unseres Hintergrundwissens (z.B. den Energieerhaltungssatz und vieles andere) einbeziehen, bevor er in ihm einen Beleg zugunsten der Atomtheorie "sehen" kann.

Dieses Verfahren nennt man "Operationalisierung". Was ein Beleg ist, hängt von der Theorie ab sowie von zahlreichen hypothetischen und zu einem gewissen Grade zwar wohlbegründeten, jedoch auch mehr oder minder spekulativen Voraussetzungen, die sich nicht im formallogischen Sinn beweisen lassen. Ein Chemiker kann zwar im Experiment chemische Reaktionen studieren und gesetzmäßig beschreiben, so wie ein Biologe im Wandel der Fossilien Gesetzmäßigkeiten feststellt. Aber was nützt ihm dies allein? Nichts! Um solche Beobachtungen nämlich einer Erklärung zuzuführen, müssen beide im Rahmen einer "Grenzüberschreitung" Theorien voraussetzen, die die Gesetzmäßigkeiten auf die Existenz nicht erfahrbarer Elemente (im einen Fall auf Atome und Moleküle, im anderen Fall auf "Makroevolution") zurückführen. Niemand war dabei, als sich die Arten wandelten, und niemand ist auf der elementaren Ebene dabei, wenn sich die Materie wandelt, daran ändert die Wiederholbarkeit eines Experiments nichts!

Wohin führen diese Überlegungen, wenn man Junkers Argumentationsschema konsequent zu Ende denkt? Die Antwort ist einfach: Wem es aus religiösen oder esoterischen Gründen opportun erscheint, der könnte die Unvollständigkeit und Unsicherheit aller wohlbestätigten Theorien ins Zentrum seiner Fundamentalkritik rücken und sie gegen eine Pseudo-Lehre ersetzen.

Es ist klar, dass diese Argumentationsmethode den Rahmen einer wissenschaftlich sauberen Vorgehensweise sprengt. Die Frage, ob es sich um einen "historischen Vorgang" oder um einen "gegenwärtig untersuchbaren" Gegenstand handelt, ist hierbei ganz nebensächlich. Die Unterschiede zwischen Geschichts- und Gegenwartswissenschaften bekommen nur dann eine scheinbare Bedeutung, wenn angenommen wird, die Existenz "theoretischer Entitäten" (wie von Atomen) könne im Gegensatz zu historischen Vorgängen ohne theoretische Vorannahmen und mit einem solchen Grad an Sicherheit bewiesen werden, dass eine alternative Deutung unmöglich sei.

Nichts von all dem ist zutreffend. So möge man Junker nur einmal bitten, in der Astronomie Experimente durchzuführen, um ihre theoretisch erschlossenen Erkenntnisgegenstände mit einem höheren Grad an Sicherheit zu beweisen, als dies in der Evolutionsbiologie möglich ist. Oder er möge uns zeigen, wie man aus der allgemeinen Atomtheorie einen Mechanismus zur Erklärung einer bestimmten chemischen Umsetzung deduzieren soll, ohne dabei auf vielfältige Zusatzannahmen, Hilfs- und Indikatorhypothesen zurückzugreifen, die ebenso hypothetisch, vorläufig und angreifbar sind, wie die Zusatzannahmen der Evolutionsbiologen.

Konsistenterweise haben nur zwei Möglichkeiten Bestand: Entweder man hält alle wohlbestätigten Theorien, die die Wissenschaft im Laufe ihrer Geschichte hervorgebracht hat, aufgrund ihrer Unsicherheit und Unvollständigkeit für nicht evident, ersetzt sie durch wie auch immer geartete supranaturalistische Spekulationen und kehrt der Wissenschaft den Rücken. Oder man erkennt an, dass die Evolutionstheorie - gemessen an den allgemein üblichen wissenschaftstheoretischen Prinzipien - trotz ihrer Lücken, offenen Fragen und manch unliebsamem Befund so wohlbestätigt ist, wie es eine Theorie nur sein kann. Aber die einseitige Ablehnung bestimmter historischer Theorien wie der Evolutionstheorie damit zu begründen, sie verdiene aufgrund der erkenntnistheoretischen Probleme und den daraus resultierenden Unsicherheiten und offenen Fragen bei der Rekonstruktion evolutionärer Ereignisse nicht den Status einer evidenten Theorie, ist ganz klar inkonsistent.

Junkers Argumentation ist auch insofern höchst problematisch, als er die Evolutionstheorie ja nicht etwa aufgrund eines rationalen Abwägeprozesses für unplausibel befindet. Vielmehr sind die für seine Ablehnung verantwortlichen Motive religiöser Natur, wonach eben nicht wahr sein kann, was qua Offenbarungstext nicht wahr sein darf! Daran gemessen wirken Behauptungen, wie dass die eingangs angeführten Vergleiche nur "dem Schutz der Evolutionstheorie vor fundamentaler fachlicher Kritik" diene und daher Teil einer "Immunisierungsstrategie" seien, "die ideologische Züge trägt", unglaubhaft.

Stünde in der Bibel geschrieben, dass die Sonne durch göttliche Einwirkung strahle, würde uns Junker darüber aufklären, dass der thermonukleare Zyklus, der in der Sonne abläuft, nicht anhand direkter Stoffproben bewiesen werden könne. Wäre dem "Offenbarungstext" zu entnehmen, die Erde stünde im Zentrum der Welt, wäre das heliozentrische Weltmodell urplötzlich nicht mehr als ein "theoriegeleiteter Deutungsversuch", zumal es ohnehin dem "gesunden Menschenverstand" zu widersprechen scheint. Und wäre in der Heiligen Schrift zu lesen, dass die Keimesentwicklung durch wundersame göttliche Fügung vonstatten gehe, müssten wir uns darüber aufklären lassen, dass die wunderbare und zweckmäßige Ordnung jedes einzelnen Organismus viel zu kompliziert sei, als dass sie durch "ungelenke" biochemische Regulationsmechanismen erklärt werden könnte. Dies folgt zwingend aus der Tatsache, dass die Studiengemeinschaft Wort und Wissen, der Junker angehört, alle von der wörtlichen Lesart der Bibel abweichenden Interpretationen zurückweist.

Wie aber sieht es mit der Einstellung der Evolutionsbiologen gegenüber wissenschaftlicher Kritik aus? Selbstverständlich sind die Evolutionsbiologen offen gegenüber wissenschaftlich begründeten Einwänden. Dies zeigt sich schon daran, dass die Evolutionstheorie nicht auf ihrem ursprünglichen Niveau stehen blieb, sondern sich weiterentwickelt hat und dabei immer differenzierter geworden ist. Im Laufe ihrer Geschichte musste auch immer wieder von zentralen Paradigmen Abstand genommen werden, wie z.B. von der Darwinschen Pangenesistheorie oder vom "Adaptationismus" in seiner strengen Form. Oder man denke an die Diskussion über die "punctuated equilibria". Dies zeigt, dass die Evolutionsbiologen (im Gegensatz zu den Kreationisten) Falsifikationen als solche akzeptieren und in der modernen Evolutionstheorie berücksichtigen.

Natürlich wird die naturalistische Evolutionstheorie nicht infragegestellt. Warum sollte man dies beim gegenwärtigen Stand des Wissens überhaupt tun? Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet wäre es höchst unvernünftig, eine zwar unvollständige und auch mit manch unliebsamen Daten konfrontierte, heuristisch aber überaus fruchtbare Theorie, die ein florierendes Forschungsprogramm, einen enormen Wissensfortschritt im Bereich der Mechanismenfrage sowie Belege zugunsten der Abstammungstheorie vorzuweisen hat, durch eine Schöpfungstheorie ersetzen zu wollen, die über nichts dergleichen verfügt.


Autor: Martin Neukamm


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