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Druck-Version Neues aus der Forschung Die Evolution neuer Enzyme verleiht Insekten ResistenzenWie Mutationen der Baumwollkapseleule beibrachten, Pestizid zu verstoffwechselnWo Schadinsekten mit Pestiziden zu Leibe gerückt wird, ist die Entwicklung von Resistenzen meist nur eine Frage der Zeit. Die Evolution bewerkstelligt dies oft dadurch, dass sie die Insekten mit einem Schutzmechanismus ausstattet, der die Pestizide daran hindert, an ihren Wirkort anzudocken. Häufig reichen Punktmutationen aus: Durch einen oder einige wenige Aminosäure-Austausche werden die molekularen Bindungsstellen so verändert, dass das Pestizid nicht mehr dort angreifen kann und seine Wirkung verliert (Target-Resistenz). Titelbild: Baumwollkapseleule (Helicoverpa armigera). Bildquelle: Eric SYLVESTRE, Helicoverpa armigera, CC BY-SA 3.0. Ein anderer Mechanismus besteht darin, durch Mutationen die Spezifität von Transportern zu verringern, so dass das Gift langsamer oder in geringerer Menge aufgenommen wird und höhere Pestizidkonzentrationen toleriert werden (Penetrationsresistenz). Es geht aber auch komplizierter: durch Evolution neuer Enzyme. Baumwollkapseleule toleriert hohe Konzentrationen FenvaleratGelegentlich bringt die Evolution den Schädlingen bei, die Gifte regelrecht zu verstoffwechseln. Die Baumwollkapseleule Helicoverpa armigera ist eine in den Tropen sowie in subtropischen Regionen weit verbreitete Falterart, die einen solchen Mechanismus evolvierte. Ihre Raupen ernähren sich hauptsächlich von Blüten und Früchten zahlreicher Pflanzenarten. Auf Mais- und Bauwollplantagen ist der Falter als Pflanzenschädling besonders gefürchtet. Ein hoher Prozentsatz der verfügbaren Insektizide wird zur Bekämpfung der Baumwollkapseleule eingesetzt, so auch der vollsynthetische Wirkstoff Fenvalerat, ein Pyrethroid-Abkömmling, der ab den späten 1970er Jahren weltweit Verwendung fand. Da inzwischen eine krebserregende Wirkung nachgewiesen werden konnte, ist Fenvalerat in Deutschland nicht mehr als Pflanzenschutzmittel zugelassen, kommt in anderen Regionen der Welt aber weiterhin zum Einsatz. Wenige Jahre später tauchte in Australien ein resistenter Helicoverpa-Stamm auf, der eine um den Faktor 42 erhöhte Resistenz gegen Fenvalerat aufwies. Wie entstand die Resistenz des australischen Stammes?Die Entstehung des Resistenz-Mechanismus wurde von einer Forschungsgruppe um David HECKEL am Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena erforscht und entschlüsselt (JOUSSEN et al. 2012). Das Besondere an diesem Beispiel ist, dass es sich weder um eine Target-, noch um eine Penetrations-Resistenz handelt, die wie gesagt durch einfache Punktmutationen entstehen können, sondern um einen komplexeren Mechanismus, einen rekombinatorischen Vorgang im Zellkern, der als "inäquales Crossing-over" bezeichnet wird. Infolge einer Chromosomenmutation kam es bei einem Individuum von Helicoverpa zum Stückaustausch zwischen zwei elterlichen Chromosomen, der eine ungleiche (nicht homologe oder auch: inäquale) Verteilung der elterlichen Erbanlagen auf den Chromosomen nach sich zog. Auf dem einen elterlichen Chromosom ging ein Abschnitt (Chromatid) verloren, während das andere elterliche Chromosom diesen Abschnitt hinzugewann (s. Abb.). Abb.: Das chromosomale Crossing-over (chromosomale Überkreuzung) ist eine Form der intrachromosomalen Rekombination, die während der Reduktionsteilung bei der Entstehung der Keimzellen auftreten kann. Dabei kommt es zum Stückaustausch zwischen väterlichem Chromosom (hier z.B. schwarz) und mütterlichem Chromosom (gelb dargestellt). Bei der Überkreuzung der vier Chromosomen-Bruchstücke (Tetraden) werden väterliche und mütterliche DNA-Abschnitte auf den Chromosomen neu angeordnet. In einigen Fällen kommt es zum so genannten inäqualen Crossing-over, bei dem ein DNA-Abschnitt auf dem einen Chromosom verloren geht und auf dem anderen eingefügt wird (Chromosomenmutation). Auf diese Weise können neue Gene und sogar neue Genfamilien entstehen. Durch Einfügen des Chromatids in ein elterliches Chromosom entstand ein neuartiges, chimäres Enzym (CYP337B3), eine rekombinante so genannte P450-Monooxygenase, die in der Lage ist, das Fenvalerat chemisch zu verändern - zu metabolisieren - und auf diese Weise für die Larven unschädlich zu machen. Keines der entsprechenden elterlichen Enzyme war imstande, Fenvalerat zu verstoffwechseln. HECKEL, der 1998 das Gen für eine P450-Monooxygenase im Erbgut der Insekten identifizieren konnte, erklärt: "Mit diesem Ergebnis wurde erstmals eine gegen ein Insektizid resistenzvermittelnde Mutation aufgedeckt, die durch ein solches Crossing-over-Ereignis entstanden ist". Originalpublikation JOUSSEN, N. et al. (2012) Resistance of Australian Helicoverpa armigera to fenvalerate is due to the chimeric P450 enzyme CYP337B3. PNAS 109, 15206-15211. Autor: Martin Neukamm |