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Druck-Version Kommentar Wort und Wissen und die frühe Evolution der bedecktsamigen Pflanzen (Angiospermen)Viel Tinte für wenig NeuesIn der Evolution der höheren Pflanzen gibt es eine Lücke: Der Ursprung und die ersten Evolutionsschritte der bedecktsamigen Pflanzen (Angiospermen) sind noch nicht völlig geklärt. Dieses Themas und damit dieser Lücke nehmen sich Kreationisten gerne an – dabei häufig DARWIN zitierend (als hätte es seitdem nichts Neues gegeben!). Ihm wird unterstellt, hier ein abominable mystery, gerne als abscheuliches Geheimnis übersetzt, diagnostiziert zu haben. Titelbild: Bougainvillea spectabilis, eine in den Subtropen weltweit vorkommende Pflanzenart innerhalb der Familie der Wunderblumengewächse (Nyctaginaceae). Bildquelle: © Katja Neukamm. Ein Beitrag von Dr. Herfried KUTZELNIGG zu diesem Thema findet sich unter [1]. Dieser liefert ein beredtes Beispiel für die Lückenbüßer-Taktik der evangelikalen Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN, wie nachfolgend gezeigt wird. Eigentlich müssten wir auf diesen Text von Herrn Dr. KUTZELNIGG zur Evolution der Angiospermen (bedecktsamige Pflanzen) nicht ausführlicher eingehen – an vielen Stellen ist seine Argumentation mangelhaft und typisch für die kreationistische Szene: Sie picken sich isoliert das heraus, was in ihr eigenes, bizarres Denkschema passt, und vor allem: Sie nehmen neuere Ergebnisse nicht zur Kenntnis! Diese sollen hier in aller Kürze vorgestellt werden. DARWINs "abominable mystery" (zu Deutsch: "fürchterliches Rätsel")2) ist nicht im Sinne des unvermittelten Auftretens der Angiospermen zu sehen, sondern im Sinne der raschen Radiation (also einer vergleichsweise zügigen Aufspaltung der Gruppe in Untergruppen) derselben: Es war diese scheinbar schnelle Aufspaltung und Entwicklung vor allem in der späten Kreidezeit, die DARWIN Kopfzerbrechen bereitete. Dies wurde in einem Aufsatz in einer Sondernummer des American Journal of Botany (Januar 2009; Band 96, Nr. 1) ausführlich untersucht und dargestellt. Diese Publikation ist im DARWIN-Jahr herausgekommen und hat die Angiospermenevolution zum Thema (FRIEDMAN 2009). Typisch übrigens für KUTZELNIGG (bzw. WORT UND WISSEN), dass solche Quellen nicht benannt werden. Stattdessen wird das hauseigene Magazin Studium Integrale Journal so zitiert, als sei es ein anerkanntes wissenschaftliches Journal, was jedoch nicht der Fall ist - ganz im Gegenteil. Seine Behauptung "Bis heute ist man trotz intensiven Bemühens der Lösung des Problems nicht wirklich nähergekommen" ist definitiv falsch. Bei alledem muss man sich wiederum fragen, ob der Leser gezielt hinters Licht geführt wird oder werden soll. Entscheidende neue Erkenntnisse aus Tausenden von Funden aus kreidezeitlichen Fundstellen weltweit kamen in den letzten 30 Jahren zusammen. Sie zeigen, dass die Verwendung von DARWINs Formulierung heute in einem aktuelle wissenschaftliche Gültigkeit beanspruchenden Kontext entweder von Ignoranz oder propagandistischer Überhöhung zeugt (vgl. z.B. FRIIS, PEDERSEN & CRANE 2010). Die neuen Erkenntnisse beruhen vor allem auf den Funden von in Holzkohle verwandelten Blüten, Samen und Früchten (in der englischsprachigen Literatur "charcoalified" bzw. "fusainized" genannt). Diese Umwandlung geschah im Zusammenhang bei Schwelbränden im Bodenbereich bei Temperaturen von etwa 300 Grad – die oberste Schicht der Streu verbrannte, etwas darunter geschah die Umwandlung in Holzkohle (Abb. 1). Die Strukturen sind in der Regel unglaublich gut erhalten: Man meint, ein Präparat frisch aus der Natur unterm Rasterelektronenmikroskop zu sehen.3) Abb. 1 : Links: In Holzkohle verwandelte Blüte eines Seerosengewächses (Microvictoria svitkoana). Man erkennt die Staubblätter und den für diese Gruppe typischen zentralen Achsenzapfen. Turonium-Formation, New Jersey, etwa 90 Mio. Jahre alt. Rechts: Im Vergleich dazu die Blütenstrukturen der rezenten Pflanze Nymphaea daubenyana. Eine faszinierende, ausführlich illustrierte Gesamtdarstellung findet sich bei FRIIS, CRANE & PEDERSEN (2011); den "Fachbotanikern" von WORT UND WISSEN sei die Lektüre dringend ans Herz gelegt. Die Autoren zeigen überzeugend, dass die Fossilgeschichte der Angiospermen – und auch "moderner" Gruppe – wesentlich weiter zurückreicht als bis vor ein paar Jahrzehnten gedacht und dass die Diversifizierung bei weitem nicht so rasch vonstatten ging wie bislang vermutet. Sichere Nachweise "moderner" Familien der Eu-Dicotyledonen sind für die mittlere Kreide belegt. In der frühen Kreide finden wir eine Fülle von Funden, die eine Zunahme struktureller Komplexität und phylogenetischer Diversität aufzeigen sowie die betreffenden Häufigkeiten und Anteile der größeren taxonomischen Gruppen (Zunahme der Angisopermen im Verhältnis zu den phylogenetisch älteren Farnartigen und Gymnospermen) in den Floren dieser Zeiteindrucksvoll belegen. Dies betrifft Blätter, Blüten, Pollen, Samen und Früchte. Es handelt sich hierbei um Formen, die sich – im Gegensatz zu den späteren – kaum einer rezenten Familie zuordnen lassen. Und – das sei nochmals betont – DARWINs Diktum bezog sich auf die 60-70 Mio. Jahre jüngeren Funde aus der Oberkreide (Abb. 2). Abb. 2 Stratigraphische Tabelle; in unserem Zusammenhang ist der obere Teil der mittleren und vor allem der untere Teil der linken Säule (Cretaceous – Kreidezeit) interessant. Zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken. Quelle: www.stratigraphy.org Allerdings ist heute auch klar, dass es sich bei der Angiospermie – und vor allem um diese geht es – um ein komplexes und vielschichtiges Syndrom geht, das mit dem vollständigen Einschluss der Samenanlagen in von Fruchtblättern gebildete Hüllen bei weitem nicht erschöpfend beschrieben ist. Dazu gehören Dinge wie Fruchtblattverschluss, Narbenbildung und vor allem das höchst subtile Phänomen der Doppelten Befruchtung, das sich zwischen Pollenschlauch und dem achtkernigen Embryosack abspielt und dessen fossile Überlieferung kaum erwartet werden kann. Allerdings: Vor einigen Jahren fand man die Spermatozoiden (bewegliche männliche Geschlechtszellen) der ersten Landpflanzen der Rhynia-Verwandtschaft aus dem Unterdevon (ca. 400 Mio. Jahre alt) – ein Fund, mit dem man eigentlich kaum rechnen konnte. Es ist anzunehmen, dass der Weg zur Bedecktsamigkeit über Zwischenstufen verlaufen ist, bei denen der jeweilige Grad dieses Merkmalssyndroms nach über 100 Mio. Jahren in der Regel nicht angegeben werden kann. Jedoch sollte man nichts für ausgeschlossen halten: Neuerdings fand man im burmesischen Bernstein Blüten einer höher entwickelten zweikeimblättrigen Pflanze (einer "Eu-Dicotylen"), bei der von den auf der Narbe auskeimenden Pollenkörnern austertende Pollenschläuche sichtbar waren: das Ganze ereignete sich vor etwa 100 Mio. Jahren (vgl. POINAR, CHAMBERS & WUNDERLICH 2013)! Molekulare Daten und molekulare Uhren legen einen Ursprung der Angiospermen mindestens im frühen bis mittleren Jura nahe – insofern ist der Alterssprung deutlich geringer, als KUTZELNIGG suggestiv angibt (vgl. z.B. WIKSTRÖM & KENRICK 2001). Ferner moniert er die Ergebnisse molekularer Uhren: "Die Ergebnisse sind je nach Methode und verwendetem Datensatz sehr verschieden. So reicht der Beginn der Angiospermen entweder zurück bis in Jura (193.8 Mio. rJ), Trias (221.5 Mio. rJ) oder Perm (275 Mio. rJ), um nur einige Beispiele zu nennen. – Am Rande sei bemerkt, dass solche gewaltigen Diskrepanzen Fragen über die Aussagekraft molekularer Datierungen aufwerfen." Wer sich mit dem Thema befasst, der sollte wissen, dass molekulare Uhren gute Anhaltspunkte geben, aber bei weitem nicht so exakt sind wie radiometrische. Hier unterstellt er also eine Genauigkeit, die nicht existiert, und das sollte er eigentlich wissen. Älterer Pollen mit zumindest angiospermenähnlichem Bau ist schon seit 1992 bekannt: zum einen fossil und zum anderen mittels biochemischer Marker4) in der Versteinerung selbst (CORNET & HABIB 1992; TAYLOR et al. 2006). Insofern ist ein mögliches Bindeglied zwischen Gymnospermen und Angiospermen viel früher und eigentlich genau im frühen Jura, in der oberen Trias oder sogar noch früher zu suchen. Man fragt sich, warum KUTZELNIGG dies nicht erwähnt. Es gibt eine ganze Reihe von Fossilien aus der Trias, die mit Wahrscheinlichkeit als zu den Angiospermen gehörend zu interpretieren sind, darunter Sanmiguelia mit aus Colorado und Texas: etwa 60 cm hoch mit dem Habitus eines Germers (Veratrum spec.; die bis 1.20 m hohe Pflanze mit ihren großen, gerippten Blättern ist Alpenwanderen als Weidezeiger gut bekannt), deren männliche und weiblichen Blüten(stände) (Synangiospadix bzw. Axelrodia) auch bekannt sind (CORNET 1986, 1989). In ihrer Merkmalskombination gleicht sie keiner derzeit lebenden Pflanze. In diesem Zusammenhang könnte u.a. auch Furcula aus der Trias Grönlands oder Pannaulika aus der Oberen Trias im östlichen Nordamerika genannt werden. Im Fundzusammenhang mit Pannaulika (Blattreste) fand sich angiospermenähnlicher Pollen. Auch Schweitzera (Irania) hermaphroditica aus der oberen Trias Irans könnte in die direkte "Ahnenreihe" der Bedecktsamer gehören – erinnern doch ihre Fruchtblätter sehr an die der bekannten frühen Angiosperme Archaefructus aus der frühen Kreide Chinas (Grenze Apt/Barrême). Letztere ist ca. 120 Mio. Jahre alt und damit nur 30 Mio. Jahre jünger als Schweitzera). Kurz: Nichts an dem, was KUTZELNIGG in seinem Beitrag berichtet, ist überraschend oder auch nur grundsätzlich neu. Dabei gibt KUTZELNIGG selber zu, dass etliche Frühformen bekannt sind, die Übergangsmerkmale zeigen:5) Viel Rauch um nichts... Fragt sich letztlich, was für Schlüsse aus diesen angeblichen Diskrepanzen gezogen werden sollen. Im Fazit schreibt KUTZELNIGG: "Insofern sind die Neufunde sehr bemerkenswert, weil sie darauf hinweisen, dass ganze Organismengruppen über große Zeiträume bzw. über viele geologische Schichtglieder hinweg ohne fossile Dokumentation existieren können. Zur Frage der Abstammung der Angiospermen bringen sie aber keine entscheidende Klärung." Zum einen fragt man sich, was daran überraschend sein soll, dass man von vielen Organismen nur Teile oder Sekundärspuren findet: Etliche Dinosaurier sind nur durch ihre Fußspuren bekannt, aus dem Präkambrium sind es Aberdutzende Arten, die wir nur durch Kriechspuren kennen. Warum auch nicht? Wieso sollte die Geologie so "freundlich" sein, uns von allen Spezies schön geordnete und komplette Fossilien(reihen) zu hinterlassen? Dazu kommt, dass wir bei pflanzlichen Fossilien meist nur von Organgattungen reden (vgl. oben Sanmiguelia, Axelrodia und Synangiospadix – drei Organgattungen für die gleiche Pflanzenart), deren organismischer Zusammenhang manchmal erst Jahrzehnte nach der Erstbeschreibung der Stücke deutlich wird. So war die Zuordnung gymnospermenähnlichen Holzes (Callixylon) zu farnartigen Reproduktionsorganen (Archaeopteris) eine "Großtat" der Paläobotanik, auf die die Gruppe der Progymnospermen begründet wurde. Des Weiteren ist falsch, was KUTZELNIGG zur "Klärung der Abstammungsfrage" schreibt: Kein Fund wird diese Frage mit einem Schlage klären: Jeder neue Fund birgt ein weiteres Mosaiksteinchen, und aus all diesen Steinen schält sich langsam ein Bild heraus. Als Wissenschaftler müsste er eigentlich wissen, dass Forschung langwierig und mühsam ist. Dies alles ist eigentlich Lehrbuchwissen: Man vergleiche das hervorragende (auch hinsichtlich der Bebilderung) und mit über 1200 Seiten sehr umfangreiche Buch von Thomas N. TAYLOR, Edith L. TAYLOR und Michael Krings: "Paleobotany: The Biology and Evolution of Fossil Plants" (2009) sowie das Buch von Else M. FRIIS, Peter R. CRANE & Kai R. PEDERSEN (2011) zu den "Early Flowers"). Allerdings hat das bei JUNKER und Gefährten wohl keine Chance genauerer Lektüre – die Schwimmwälder aus baumförmigen Bärlappen und ihren nächsten Verwandten kommen hier eben nicht vor. Lehrbücher bzw. Übersichtswerke TAYLOR, Th. N.; TAYLOR, E.L.; KRINGS, M. (2009; 2. Aufl.) Paleobotany: The biology and evolution of fossil plants. Academic Press. FRIIS, E.M.; CRANE, P.R.; PEDERSEN, K.R. (2011) Early flowers and angiosperm evolution. Cambridge etc. Cambridge University Press. Einzeltitel CORNET, B. (1986) The leaf venation and reproductive structures of a late Triassic angiosperm, Sanmiguelia lewisii. Evolutionary theory 7, 231-309. CORNET, B. (1989) The reproductive morphology and biology of Sanmiguelia lewisii, and its bearing on angiosperm evolution in the Late Triassic. Evolutionary trends in plants 3, 25-51. CORNET, B.; HABIB, D. (1992) Angiosperm pollen from the Ammonite-dated Oxfordian (Upper Jurassic) of France. Review of Paleobotany and Palynology 71, 269-294. FRIEDMAN, W.E. (2009) The meaning of DARWIN’s "Abominable mystery".- American Journal of Botany 96, 5-21. (Man vergleiche auch die anderen Aufsätze dieses hervorragenden Sammelbandes aus dem "DARWIN-Jahr"!) FRIIS, E.M.; PEDERSEN, K.R.; CRANE, P.R. (2010) Diversity in obscurity: Fossil flowers and the early history of angiosperms. Phil. Trans. R. Soc. B. 365, 369-382. POINAR, G.O. Jr.; CHAMBERS, K.L.; WUNDERLICH, J. (2013) Micropetasos, a new genus of angiosperms from mid-cretaceous Burmese amber. Journal of the Botanical Research Institute of Texas 7, 745-750. TAYLOR, D.W.; LI, H.; DAHL, J.; FAGO, F.J.; ZINNIKER, D.; MOLDOWAN, J.M. (2006) Biochemical evidence for the presence of the angiosperm molecular fossil oleanane in Paleozoic and Mesozoic non-angiospermous fossils. Paleobiology 32, 179-190. WIKSTRÖM, N.; KENRICK, P. (2001) Evolution of Lycopodiaceae (Lycopsida): Estimating divergence times from rbcL gene sequences by use of nonparametric rate smoothing. Molecular phylogenetics and evolution 19, 177-186. Fußnoten [1] Kutzelnigg, H. (2013) Sind Blütenpflanzen 100 Millionen Jahre älter als bisher angenommen? Gastbeitrag von Herfried Kutzelnigg. [2] Die von KUTZELNIGG gelieferte Übersetzung "abscheuliches Geheimnis" ist übrigens semantisch falsch: Was sollte an einem wissenschaftlichen Rätsel abscheulich sein? [3] Hochaufgelöstes Foto auf Plantsystematics.org. [4] Dies bezieht sich auf (biochemische) Spuren direkt im Fossil, die auf bestimmte, für die Pollenwand der Angiospermen typische Substanzen hinweisen; vgl. TAYLOR et al. (2006). [5] Zitat: "Allerdings ist ein deutlicher Unterschied zu diesen durch die extrem dünne innerste Schicht gegeben. Sechs verschiedene Typen wurden festgestellt. Sie alle konnten keinem bisher bekannten Pollentyp zugeordnet werden. ... ... Außerdem wurde in den Trias-Schichten Pollen des Afropollis-Typs gefunden. Dieser konnte verschiedentlich auch in der Kreide nachgewiesen werden. Aber auch hierbei ist unklar, ob es sich um Gymnospermen oder Angiospermen handelt." Autor: Priv.-Doz Dr. Stefan Schneckenburger, Botanischer Garten der TU Darmstadt |