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PDF-Version Diskussionsbeitrag Wissenschaft und Naturalismus aus Sicht der Studiengemeinschaft 'Wort und Wissen'Struktur und Stereotypen einer verfehlten ArgumentationIn der Ausgabe des "Materialdienstes" der EZW (8/2014) veröffentlichten Hansjörg HEMMINGER und ich eine kritische Analyse zu den Positionen der kreationistischen Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN (W+W), in der wir den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit gegen sie erheben (HEMMINGER 2014; NEUKAMM 2014a). Darin wird erörtert, warum nichtnaturalistische Ursprungsszenarien nicht mit dem Anspruch auf Geltung vertreten werden können und warum der Kreationismus die empirisch-wissenschaftliche "Methode" ad absurdum führt. Einige Wochen später erschien eine Antwort des Leitungskreises von W+W (WORT UND WISSEN 2014; JUNKER & ULLRICH 2014). In dieser Erwiderung wird die Argumentation zurückgewiesen und behauptet, wir würden mit Zerrbildern und absurden Unterstellungen arbeiten sowie die Position von W+W-Autoren nicht "annähernd korrekt" wiedergeben. Da W+W in verschiedenen Texten üppig von solchen Stereotypen Gebrauch macht, soll hier einmal im Detail untersucht werden, welcher Techniken sie sich bedient, um begründete Kritik an ihrer Weltanschauung abzuwehren. Im Folgenden werde ich anhand von Beispielen nachweisen, dass W+W mit rhetorischen Stilmitteln arbeitet, um Reflexionen, die ihr Weltbild begründet infrage stellen, als unangemessen zurückzuweisen. Ihre Einwände beruhen teils auf semantischen Verschiebungen, etwa auf einer sinnwidrigen Auffassung darüber, was man in der Wissenschaft unter "Ergebnisoffenheit" versteht, dringen oft nicht bis zum Argument vor oder thematisieren diskussionsferne Aspekte, die nicht zur Kritik passen. Dem Vorwurf, Strohmannargumente zu kritisieren, muss sich die Studiengemeinschaft selber stellen. Des Weiteren bedient sie sich definitorischer Tricks, um den Eindruck zu erwecken, man sei in den wichtigen Fragen der Evolution bis heute keinen Schritt weiter gekommen: So werden essentielle Teilschritte der Evolution, die man heute schon recht gut erklären kann, kurzerhand als "unwesentlich" deklariert usw. (siehe Abschnitt 6: Entstehung des Lebens). 1. Ein beliebter Strohmann: Die apodiktische Festlegung auf den Naturalismus W+W versucht, die "apodiktische" Vorfestlegung auf den Naturalismus als erkenntnishemmend darzustellen. Sie werfen mir vor, mit dem Naturalismus eine solche Vorfestlegung (den "grundsätzlichen Ausschluss der Antwortoption Schöpfung") getroffen zu haben und machen deutlich, dass eine Schöpfung, sollte es sie gegeben haben, unter diesen Voraussetzungen nicht erkannt würde. Dies sei mit dem von mir genannten Ziel der Naturwissenschaften, nämlich der "freien Suche nach Wahrheit", unvereinbar. Leider wird der Naturalismus, den ich – stellvertretend für die moderne Wissenschaft – referiere, vom W+W-Leitungskreis krass fehlinterpretiert und kritisiert daher Positionen, die niemand vertritt. Zur Begründung im Einzelnen: W+W bezieht sich auf eine Aussage des Philosophen Thomas NAGEL, um sie gegen die Argumentation NEUKAMMs zu verwenden: "Dass es wissenschaftliche Hinweise für geistige Verursachung, sprich Schöpfung geben kann [!], stellt auch der atheistische Philosoph Thomas Nagel fest. Der apodiktische Ausschluss der Option 'geistige Verursachung' bedeutet für Nagel eine nicht zu rechtfertigende Festlegung auf den Naturalismus." Aus meinem Text kann man einiges herauslesen, aber nicht den "apodiktischen Ausschluss" der Option "geistige Verursachung". Würden z. B. durch reine Gedankenkraft Dinge verschoben oder allein durch das Wort neue Arten aus dem Nichts erschaffen werden, wäre "geistige Verursachung" ohne Zweifel eine respektable physikalische Kraft im Universum. Freilich gibt es bislang kein glaubwürdig dokumentiertes, geschweige denn reproduzierbares Beispiel für solche Wirkursachen. Zudem beschreibe ich drei mögliche Szenarien, die bestimmte Varianten des intelligenten Designs empirisch-wissenschaftlich untermauern würden. Warum unterschlägt W+W das? Nur durch diese Unterlassung gelingt es dieser Studiengemeinschaft, den falschen Eindruck zu erwecken: "Neukamm legt sich… auf den Naturalismus als Wahrheitskriterium für alle Wissenschaften fest und schließt Erklärungen durch Schöpfung methodisch und inhaltlich prinzipiell aus." Weder ist der Naturalismus ein "Wahrheitskriterium" (da er scheitern kann, s.u.), noch wird der inhaltlich prinzipiellen Ausschluss von Schöpfung gefordert. Beides sind beliebte Strohmannargumente, denn es geht immer nur um das Einfordern von Belegen und intersubjektiv nachvollziehbaren Begründungen, also um Evidenz. Postuliert man die Existenz wundersamer Faktoren einfach, ohne einen Wirkmechanismus zu kennen, ohne eine ordentliche Theorie des Übernatürlichen vorstellen zu können und ohne eine objektive (kausal-gesetzesmäßige) Grenze für die postulierten Wirkungen angegeben zu können, wird es unmöglich, gute Gründe für deren Existenz zu nennen; es bleibt im Bereich des Fiktiven, des Willkürlichen. Alles, was gefordert wird, sind Kriterien wie objektive Nachvollziehbarkeit, semantische Klarheit, Kohärenz und Erklärungskraft, aber solche Kriterien sind bei transnaturalen Faktoren gerade nicht erfüllt. [1] Paradebeispiele dafür sind der anonyme "Designer" der ID-Anhänger und der Designer-Gott der Kreationisten: Unter Voraussetzung solcher Faktoren, die so unbekannt und unerforschlich sind wie ihre Eigenschaften, Wirkmechanismen und Zwänge, kann man keinerlei Vorhersagen über die Beschaffenheit der belebten Natur treffen (vgl. dazu auch HEILIG 2011). Zwar lässt sich im Nachhinein beliebig darüber spekulieren, was sich der Designer bei dieser oder jener Struktur wohl "gedacht" haben mag, aber solche Spekulationen sind genau dies: beliebig, subjektiv und nicht unabhängig von jenem Schöpfungsszenario überprüfbar, das ja gerade begründet werden soll. Die Hypothese von der Existenz solcher Designer ist demnach objektiv unbegründet. Zudem erklären solche wundersamen Wirkungen nichts, denn nur etwas, das differenziert erklärt, hat Erklärungskraft. Ein "intelligentes Design" kann man aber zur "Erklärung" von allem heranziehen; es erklärt also nicht spezifisch das, was es erklären soll (vgl. VOLLMER 1995, MAHNER 2003, SUKOPP 2006, NEUKAMM 2007a). Ein Beispiel: Mutationen (z. B. Genduplikation, Punktmutationen, DNA-Shuffling usw.) bewirken die Vermehrung und Veränderung genetischen Materials. Geht man davon aus, dass auf diese Weise neue Gene entstanden sind und verknüpft man das Wissen über diese Mechanismen mit der Darwinschen Abstammungstheorie, lässt sich z. B. das Phänomen der Paralogie (Sequenzähnlichkeit von Genen mit unterschiedlicher Funktion in einem Organismus) vorhersagen (Abb. 1). Abb. 1: Schema einer kausalen evolutionären (DN-) Erklärung. Die DARWINsche Abstammungstheorie, verknüpft mit dem Wissen über die Mechanismen der Vererbung, Genduplikation und Genmutation sowie der Selektion, bilden den erklärenden "Rahmen" und erlauben es, prüfbare Folgerungen abzuleiten, die sich bestätigen lassen. Leugnet man dagegen den kausalen Zusammenhang zwischen den evolutionären Mechanismen und der Existenz paraloger Gene und verweist auf ein nicht näher spezifiziertes Design, wird eine konkrete Vorhersage bzw. Erklärung unmöglich. Die Evolutionsgegner heben die kausale Erklärung aus den Angeln, selbst wenn sie die Abstammungstheorie anerkennen sollten (Abb. 2). Abb. 2: Da es sich bei dem "Designer" und seiner Vorgehensweise um völlig unbekannte und unerforschliche Faktoren handelt, lässt sich für das Wirken des Designers keine objektive Grenze angeben. Folglich ist selbst dann keine spezifische, kausale Erklärung mehr möglich, wenn die DARWINsche Abstammungstheorie akzeptiert würde. Der Naturalismus ist also unabdingbar für die wissenschaftliche Theorienbildung und für die Struktur gültiger Schlussfolgerungen. Letztere wiederum setzt zumindest eine Spezifikation des hypothetischen Designers unter Voraussetzung plausibler Zusatzannahmen voraus (NEUKAMM 2014b). Ist eine derartige Spezifikation vorgenommen, lässt sich auch die Plausibilität seiner Existenzhypothese evaluieren. Zum Beispiel ist die Hypothese eines menschenähnlichen Konstrukteurs vollkommen unplausibel, wenn damit die Herkunft von etwas erklärt werden soll, das bereits zu einer Zeit existierte, als es auf der Erde noch keinerlei menschenähnliche Industrien gab. Würden wir hingegen potenzielle Akteure finden, die in den Zeitrahmen passen, wäre der Schluss auf einen solchen Designer durchaus glaubwürdig, wie Beispiele aus der Archäologie zeigen. Allerdings hilft den Evolutionsgegnern ein solcher innerweltlicher Designer nicht weiter, wenn es um die Entstehung des Lebens geht, "… denn als solcher unterläge er dem Regress und würde echte (d.h. mechanismische) Erklärungen nur weiter nach hinten schieben. Würde ID, um den Regress abzubrechen, tatsächlich an einer Stelle eine Erklärung für die Entstehung innerweltlicher Planer akzeptieren, die von ungelenkten materiellen Prozessen bzw. Mechanismen Gebrauch macht, dann wäre das Unternehmen ID von vornherein überflüssig, weil der Verweis auf einen intelligenten Designer stets nur ein explanatorischer Zwischenschritt wäre, dessen Funktion allein darin bestünde, unsere Suche nach echten Erklärungen nicht vorschnell abzubrechen." (MAHNER 2007a). Auf der W+W-Website werden einige Unterstellungen konkretisiert, die durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate belegt werden sollen (JUNKER & ULLRICH 2014). So liest man dort beispielsweise: "M. Neukamm setzt fälschlicherweise den Gegenstand von Naturwissenschaft mit dem naturalistischen Wirklichkeitsverständnis gleich (s. Kasten) und legt sich auf den Naturalismus als einzig legitimen Erkenntniszugang für jegliche Ursprungsforschung fest, während er (als bekennender Atheist) die Bezugnahme auf einen Schöpfer als "willkürliche Fantasie" betrachtet. Mit dem grundsätzlichen Ausschluss der Antwortoption "Schöpfung" gibt Neukamm aber das Grundprinzip wissenschaftlichen Arbeitens auf: Die ergebnisoffene Suche nach der Wahrheit." Man fragt sich, was meine Überzeugung als Atheist mit der Zurückweisung des supranaturalistischen Wirklichkeitsverständnisses zu tun haben soll, wenn doch vor allem auch zahlreiche Christen, die als solche gar kein atheistisches Weltbild vertreten, den von mir beschriebenen Begründungen bis ins Detail folgen: Aus Sicht des Theologen Christoph HEILIG - um mal nur ein einziges Beispiel zu nennen - ist eine wissenschaftliche Design-Theorie genauso Illusion, ist die evolutionsbiologische Fundamentalkritik genauso unhaltbar, ist das Festhalten an widerlegten biblischen Dogmen wissenschaftlich genauso fatal wie aus der Perspektive des konsequenten Naturalismus. Es ist daher offensichtlich, dass die Ablehnung des Argumentationsgebäudes von W+W nicht primär naturalistisch motiviert ist, sondern sich auf wissenschaftstheoretische Überlegungen gründet – das reflexhafte Kontern mit dem Atheismus-Vorwurf ist also ein Strohmannargument. Rätselhaft bleibt auch, was W+W mit der Behauptung zum Ausdruck bringen möchte, NEUKAMM setze "fälschlicherweise [sic!] den Gegenstand von Naturwissenschaft mit dem naturalistischen Wirklichkeitsverständnis gleich" und lege sich auf den Naturalismus als einzig legitimen Erkenntniszugang für jegliche Ursprungsforschung fest". Was soll der Gegenstand von Naturwissenschaft denn anders sein als die Natur – und damit das naturalistische Wirklichkeitsverständnis, nämlich die empirisch fassbaren, kausalen Zusammenhänge dieser Welt? Was ist überhaupt die Alternative zum naturalistischen Erkenntniszugang? Naturalismus impliziert Gesetzmäßigkeit, Regelhaftigkeit, ein kausal beschreibbares Verhalten der Welt, und dieses wiederum erlaubt ein objektives Vorgehen bei der Theorienprüfung. Außerhalb des Naturalismus angesiedelt wären lediglich "Erkenntnisquellen" wie Intuition, mystische Schau, Offenbarung und religiöse Erfahrung. Diese aber entziehen sich, wie MAHNER (2005) schreibt, "… jedweder Überprüfung, ja selbst der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit. Während subjektive Validierung in den Realwissenschaften grundsätzlich unakzeptabel ist, ist sie im Bereich des Religiösen gang und gäbe: der subjektive Glaube – trotz aussichtsloser Beleglage, innerer Widersprüche oder erdrückender Widerlegungsinstanzen wie etwa im Bereich des Übels – stellt einen hoch geschätzten Wert dar. Ein religiös gläubiger Wissenschaftler muss uns also erläutern, wie man es fertigbringt, zwei derart gegenläufige methodologische Wertesysteme widerspruchsfrei zu vertreten. Offenbar wird im Bereich der Religion, wie Hans Albert schon vor langem beobachtete, das kritische Denken immer genau dann abgestellt, wenn man es nicht mehr brauchen kann." Wer also meint, in der wissenschaftlichen Ursprungsforschung sei noch ein anderer Erkenntniszugang "legitim" als der des Naturalismus, müsste erst einmal den Widerspruch auflösen, der sich ergibt, wenn objektive Bewertungsinstanzen mit subjektiver Validierung vermischt werden. Oder hat man jemals davon gehört, dass sich irgendein wissenschaftlicher Forschungsbereich jemals eines anderen Erkenntniszugangs bedient hätte, als des Naturalismus? Merke: Evidenz ist nicht philosophisch voraussetzungsfrei zu haben: Selbst die Kreationisten müssen annehmen, dass zumindest Experimente sowie unser Wahrnehmungsapparat "naturalistisch" funktionieren, dass also weder Messapparaturen noch Wahrnehmungsprozesse supranaturalistischen Manipulation unterliegen, wie etwa der sog. Okkasionalismus annimmt, weil wir sonst keinem Experiment und keiner Beobachtung mehr trauen könnten. (Dies ist der sog. "Nicht-Interventionalismus" nach MAHNER, vgl. Fußnote 8.) Offenbar haben sie diesbezüglich kein Berührungsproblem mit dem Naturalismus, weil selbst ihnen klar sein dürfte, dass die Annahme supranaturalistischer Beeinflussung unserer Erkenntnisquellen nicht nur unbegründet wäre, sondern dass dann sämtlichen Daten ihren Status als Belege verlören und eine rationale Diskussion über die Strukturen dieser Welt nicht mehr möglich wäre. Aber sobald es um die Entstehung des Kosmos und seiner Substrukturen (einschließlich des Lebens) geht, "darf" sich das Supranaturalistische ungehemmt austoben, ungeachtet der Konsequenz, dass dann dort rationale Begründungsstrukturen versagen. Dieser Nicht-Interventionalismus ist also, wie MAHNER zeigt, so willkürlich wie inkonsequent: Man kann naturalistisch-ontologische Annahmen wie den Nicht-Interventionalismus nicht zulassen, wo es einem in den Kram passt, aber immer dann ablehnen, wenn die Lieblingsideologie durch ihn bedroht wird. Verwundert reibt man sich die Augen, wenn man liest, dass einem die Zurückweisung objektiv unbegründeter Weltbilder (den "Ausschluss der Antwortoption Schöpfung", wie es bei W+W heißt) gar als Abrücken von der "ergebnisoffenen Suche nach Wahrheit" ausgelegt wird. Im wissenschaftlichen Sinne "wahr" können ja nur Sätze sein, denen plausible Rahmenbedingungen (Zusatzannahmen) zugrunde liegen, die empirisch bestätigt sind, Erklärungskraft haben usw. Wenn aber weder logisch-semantische noch methodologische Kriterien existieren, um einen Glaubenssatz empirisch abzusichern, dann ist der Begriff der "Wahrheit" vollkommen sinnfrei. Wenn jemand etwa das Bekenntnis zur medizinischen Heilkraft von Bachblüten entgegen empirischer Evidenz für "wahr" hält, dann kann dies nur aufgrund subjektiver Überzeugung erfolgen. Wie gezeigt, gilt dies auch für den von W+W bemühten Designer-Gott. All die hier vorgestellten Argumente sind nicht neu, wurden aber von W+W bislang ignoriert. Ich fürchte, dass ein wichtiger Grund für dieses Verhalten darin liegt, dass derartige Diskussionen Reflexionen erfordern, die das Weltbild von W+W infrage stellen. Wie anders ist es zu erklären, dass W+W die Argumente als "vorurteilsbehaftete Versatzstücke" des Autors kennzeichnet und völlig argumentationslos (!) vom Tisch wischt (ohne zu bemerken, dass es sich bei diesen "Versatzstücken" um Argumente von Wissenschaftsphilosophen und Christen gleichermaßen handelt, die ihre "Vorurteile" argumentativ untermauert haben)? 2. Klare Indizien für ein Design des Lebens? JUNKER & ULLRICH behaupten: "Ergebnisoffene Wissenschaft wird diese Option [Schöpfung] berücksichtigen, zumal es dafür viele klare Indizien gibt." Selbstverständlich würde die ergebnisoffene Wissenschaft Schöpfung berücksichtigen – wenn es dafür intersubjektiv nachvollziehbare Gründe gäbe, was auch in meinem Beitrag gesagt wird. Es wurde aber auch begründet, warum diese "klaren Indizien", die nicht einmal für alle Christen als solche erkennbar sind, in Wahrheit keine intersubjektiv nachvollziehbaren Indizien sind, sondern nur in der Gedankenwelt der W+W-Studiengemeinschaft existieren. Unter der Überschrift "Entstehung des Lebens" bemerken JUNKER & ULLRICH zu den Millerschen Simulationsexperimenten: "Man könnte die experimentelle Bildung von Aminosäuren genauso gut als Beleg dafür werten, dass ein Chemiker – oder irgendein Designer – gezielt Aminosäuren herstellen kann." Wie wir noch sehen werden, ist der Clou beim MILLER-Experiment (und seinen zahllosen Varianten) gerade der, dass eben kein spezifisches Wissen, keine gezielte Steuerung und Beeinflussung der Reaktionsbedingungen im Spiel sind, sondern dass präbiotische Rahmenbedingungen simuliert werden - es sich also um das genaue Gegenteil von Design handelt! Aber nehmen wir einmal an, es wäre ein Beispiel für "Design": Ließe sich wirklich behaupten, es gäbe klare Indizien für eine Schöpfung, nur weil wir wissen, dass bestimmte Biomoleküle und irreduzibel komplexe Strukturen von Menschen erzeugt werden können? Selbst wenn wir in keinem einzigen Fall wüssten, wie Biomoleküle und irreduzibel komplexe Biosysteme evolviert sein könnten (in der Literatur gibt es zahlreiche Gegenbeispiele dafür), wäre "Design" nicht mehr als eine spekulative Denkmöglichkeit. Warum? Zunächst: Der Analogieschluss von menschengemachten Artefakten auf "geistig verursachte" Biosysteme ist schon aufgrund der kategorialen Verschiedenheit der Objektklassen fragwürdig: Bei Artefakten spricht alles gegen eine Evolution und für Design, bei Biosystemen dagegen vieles für eine Evolution und nichts für Design. Die "irreduzible Komplexität" bei Lebewesen ist kein brauchbares Analogon, weil nie gezeigt werden konnte, dass es die für den Schluss auf "Design" entscheidende Eigenschaft ist. Brauchbare Kriterien, an denen man "Design" (Kunstdinge) von "Naturdingen" unterscheiden kann, sind Eigenschaften wie Selbstorganisation, natürliches Wachstum und Mutabilität. Kunstdingen fehlen diese Eigenschaften, insbesondere die Fähigkeit zum Wachstum: Ein Roboter, ganz gleich wie einfach oder komplex er gebaut sein mag, ist und bleibt als Artefakt erkennbar, weil dieser niemals ein natürliches Wachstum durchlaufen und sich auf natürliche Weise fortpflanzen kann. Denn Roboter bestehen aus Metallteilen, Schaltkreisen, Schrauben usw., die man händisch zusammensetzen muss, sie können also niemals eine Ontogenese durchlaufen. Ein Lebewesen, ganz gleich wie komplex es ist, bleibt dagegen immer als Naturding erkennbar, weil es wächst und sich auf natürliche Weise fortpflanzt. Im Gegensatz zu einem Artefakt ist das Lebewesen in jedem Stadium seiner Existenz ein funktionales, gleichsam "fertiges" Lebewesen. Ein Roboter hingegen kann immer nur konstruiert werden oder andere Roboter konstruieren; er ist erst von dem Moment an funktional ("fertig"), wenn alle Einzelteile zu einem Roboter zusammengesetzt wurden. Merke: Tote Dinge, die aktiv zusammengesetzt werden müssen, sind als Artefakte erkennbar, Wachstum hingegen ist ein typisches Merkmal eines Naturdings. Die Eigenschaft der irreduziblen Komplexität spielt dagegen bei der Erkennung von Design keine Rolle.[2]Wer Organismen trotz dieser Demarkation als "designt" deutet, kann dies nur gegen die Erfahrung tun, verkauft also einen Glaubenssatz als empirisches Erkennungskriterium und verlässt damit den Boden der Wissenschaft. W+W schreibt: "Ohne gründliches naturwissenschaftliches Arbeiten gibt es kein einziges Design-Argument" Selbst wissenschaftliches Arbeiten stützt das Design-Argument nicht, denn weder das Feststellen "irreduzibel komplexer Strukturen" noch der Nachweis fehlender evolutionärer Erklärungen reichen aus, um den Schluss auf Design zu ziehen (zur Begründung siehe NEUKAMM 2014b). Gegen diesen Schluss spricht ein weiterer Grund: In einigen Publikationen stellt JUNKER fest, dass man das Prinzip der geistigen Verursachung (unspezifisches Design) konkretisieren bzw. spezifizieren muss, um es empirisch prüfbar zu machen. Das ist zweifelsohne richtig.[3] Die Analogie mit menschenähnlichem Design taugt nun aber nur so lange, wie die Extrapolation nicht zu weit in die Vergangenheit führt. Die Lebensentstehung aber führt weit zurück ins Präkambrium (d.h. also weit mehr als 3 Milliarden Jahre in die Vergangenheit). In einer Zeit, in der es nachweislich weder Relikte menschenähnlichen Designer, geschweige denn komplizierte Syntheseapparaturen nachweisbar sind, geschweige denn sonstige "geistigen Verursacher", ist "Design" zwar immer eine denkmögliche Erklärung. Unter Berücksichtigung der historischen Randbedingungen hingegen ist es der denkbar unplausibelste Schluss. Um den Schluss dennoch zu ziehen, muss sich W+W also immer weiter von der Erfahrung entfernen. Der Theologe Christoph HEILIG, der sich früher für W+W engagierte, hat im Laufe der Zeit ebenfalls klar erkannt, dass W+W ihr Ziel mit den falschen Mitteln verfolgt, weil das Design-Argument nicht sticht und die Empirie nicht das hergibt, was sich W+W davon verspricht.[4]Es ist eine bemerkenswerte intellektuelle Leistung, die Gründe für das Scheitern des Design-Schlusses erkannt zu haben, wenn man schon tief in die Arbeit von W+W involviert war. Fazit: Irreduzibel komplexe Strukturen sind keine "klaren Indizien" für ein intelligentes Design, sondern eine (fragwürdige) Deutung, die W+W als Design-Signale ausgibt. Intersubjektiv nachvollziehbare Indizien für ein Design würden anders aussehen: Ein Geburtsmal mit dem Schriftzug "Copyright by the Designer" wäre ein Schöpfungsindiz, Relikte einer präkambrischen Embryonenfabrik, oder das Erschaffen einer Art durch das gesprochene Wort, wie in der Bibel beschrieben. 3. Rabulistik: Sinnentstellendes Umdefinieren von Begriffen: Was bedeutet "Ergebnisoffenheit" in der Wissenschaft? Wer "Rabulistik" betreibt, der wendet rhetorische und argumentative Techniken an, um Recht zu behalten – unabhängig davon, ob er tatsächlich Recht hat oder ob der Sachverhalt, um den es geht, verdreht wird: "Die Grenzen zur Täuschung, Irreführung und Lüge sind dabei fließend" (wikipedia). Solche Techniken wendet auch W+W an, etwa um die Kritik abzuwehren, der Kreationismus sei nicht ergebnisoffen, sondern beeinflusst von Autoritäten und Dogmen. Dogmen, wie etwa die Annahme einer etwa 6-10.000 Jahre alten Erde und eine simultane Entstehung (Schöpfung) der Arten, entsprechen inhaltlichen Vorfestlegungen, die biblisch motiviert sind und an denen gegen alle Erkenntnisse, Evidenzen und Widersprüche festgehalten wird: Sie werden, wie MAHNER (a.a.O.) so treffend feststellte, trotz "...aussichtsloser Beleglage, innerer Widersprüche oder erdrückender Widerlegungsinstanzen…" für "wahr" befunden. Eine solche Einstellung wird durch das wissenschaftliche Prinzip der freien Suche nach Wahrheit nicht mehr gedeckt. Ich habe diesen Anklagepunkt ausführlich dargelegt und mithilfe eines Beispiels erläutert, weshalb sich auf Grundlage solcher Dogmen keine vernünftige Wissenschaft gründen lässt. Wie reagiert W+W auf den Vorwurf, der Kreationismus sei nicht ergebnisoffen, da er inhaltliche Vorfestlegungen träfe? Der Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit Bei W+W lesen wir: "1. Was aufgrund biblischer Offenbarung geglaubt wird, wird nicht mit dem Anspruch verteidigt, es handle sich um Ergebnisse der Naturwissenschaft. 2. Es wird von W+W ausdrücklich eingeräumt, dass es nicht gelungen ist, naturwissenschaftliche Befunde mit einer biblisch abgeleiteten kurzen Erd- und Kosmosgeschichte in Einklang zu bringen. Genau dieses Eingeständnis zeigt, dass widersprechende naturwissenschaftliche Daten ernst genommen werden und dass es hinsichtlich der Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse eben keine Vorfestlegung gibt." Aus diesen beiden Gründen gelte: "Neukamms Behauptungen, man sei nur ergebnisoffen, solange die eigenen Kernthesen [z.B. 6000 Jahre alte Erde, 6-Tage-Schöpfung; M.N.] unberührt blieben, und die 'Methode der Naturwissenschaft' würde eingeschränkt benutzt, erweisen sich als falsch und unbegründet." Hier fällt auf, dass der Leitungskreis der Studiengemeinschaft W+W die Bedeutung des Begriffs "Ergebnisoffenheit" in der Wissenschaft in sinnentstellender Weise umdefiniert, um dem Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit zu entkommen. Sie tut nämlich so, als sei die Bedingung der Ergebnisoffenheit bereits dann erfüllt, wenn die "biblische Offenbarung" nicht mit naturwissenschaftlichem Anspruch verteidigt werde. Das aber ist grundfalsch: Merke: Ergebnisoffenheit bedeutet in der Wissenschaft nicht, formal Daten und Experimente anzuerkennen, die eine bestimmte Weltdeutung infrage stellen, sondern auch das widerlegende Moment der empirischen und theoretischen Gesamtsituation zu akzeptieren und die unplausible Weltdeutung aufzugeben! W+W sucht nach wissenschaftlichen Rechtfertigungsgründen für eine 6-10.000 Jahre alte Erde, wie der Artikel von M. KOTULLA demonstriert, auf den ich an anderer Stelle verwiesen hatte.[4]Das Suchen nach solchen Gründen geht in Ordnung, doch muss W+W eine Widerlegung akzeptieren, wenn die meisten der wohletablierten Erkenntnisse aus der Geologie, Kernphysik, Relativitätstheorie usw. gegen ihr Weltbild sprechen, sonst ist die empirische (hypothetische-deduktive) Methode (die auch die Bereitschaft impliziert, liebgewordene Vorstellungen aufzugeben, wenn sie empirisch widerlegt sind), nichts wert! Man kann dann gleich damit aufhören, nach wissenschaftlichen Wahrheiten zu suchen, weil man dann Beliebiges vertreten kann, auch beliebig Unplausibles. Die wissenschaftlich plausiblen Wahrheiten liegen dann einfach nicht mehr im Suchfeld der Naturwissenschaft. Merke: Mit "inhaltlicher Vorfestlegung" ist genau dies gemeint: Das Festhalten an geglaubten Wahrheiten, die empirisch wohlbegründeten Theorien widersprechen. Das Abrücken von der "empirischen Methode" wiederum bedeutet, dass widerlegte Annahmen, wie der 6-10.000 Jahre alte Kosmos, auch dann nicht aufgegeben werden, wenn fast alles dagegen spricht, sondern stattdessen mit einem Schutzmantel unbegründeter Hilfshypothesen gegen Widerlegung immunisiert werden.[5] W+W geht sogar noch weiter und deutet wissenschaftliche Befunde, die, aus dem Gesamtkontext gerissen, für eine junge Erde sprechen könnten, im Rahmen ihres wissenschaftlich hochgradig widerlegten Dogmas. Handfeste Widerlegungen ihres Weltbildes werden wegrationalisiert, während gleichzeitig dem bestens abgesicherten, wissenschaftlichen Weltbild Erkenntnislücken vorgeworfen werden. Genau aus diesem Grund ist die Studiengemeinschaft wissenschaftsfeindlich; sie verfährt offenkundig nach dem Motto: "Erkenne wissenschaftliche Theorien immer dann an, wenn Du sie brauchen kannst, lehne sie aber immer dann ab, sobald sie mit Deinem Dogma in Konflikt stehen." Es gilt eben, wie KANITSCHEIDER (1999, S. 81) betont, "immer noch das Prinzip der Unfehlbarkeit: Die Schrift kann nicht irren (...) Und niemand hat das Recht, den Zusammenhang zwischen der supernaturalen Macht und denen, die die heiligen Texte aufgeschrieben haben, in Frage zu stellen - eine Situation, die in der Wissenschaft nicht existiert (...) Jeder Satz, jeder Beobachtungssatz in der Wissenschaft kann als falsch erkannt werden. Das gibt es in den Religionen nicht. Hier gilt das Prinzip der Offenbarung." Die Behauptung, man sei "ergebnisoffen", ist auch deshalb unglaubhaft, da die Studiengemeinschaft an anderer Stelle selber einräumt, bezüglich ihres Schöpfungsparadigmas "dogmatische Festlegungen" zu treffen, die mit einem "Schutzmantel" aus Hilfshypothesen umgeben und gegen Widerlegung geschützt werden (JUNKER 2004, 11). Dieser so genannte "harte Kern" bleibe, so JUNKER "unangetastet". Auf den ersten Blick scheint die spezielle Wissenschaftstheorie von Imre LAKATOS, auf die sich JUNKER stützt, diesen Dogmatismus zu rechtfertigen: Es ist sicher richtig, dass vergleichsweise junge, in Entwicklung begriffene Theorien und Disziplinen zunächst noch eine Art "Jugendschutz" genießen, bevor die Degeneration bzw. das Scheitern des betreffenden Forschungsprogramms und die Widerlegung der betreffenden Kernthesen festgestellt wird. (Dies hält W+W kurioserweise nicht davon ab, der noch extrem jungen und zudem sehr progressiven Abiogeneseforschung heute schon den Stempel "gescheitert" aufzudrücken; wir kommen darauf noch zurück.) Zum einen aber ist zweifelhaft, dass es tatsächlich "harte Kerne" gibt. In der Wissenschaftsgeschichte gibt es dafür keine überzeugenden Beispiele – letztlich wurde jede unplausible Theorie früher oder später aufgegeben. Hinzu kommt, dass das Schöpfungsparadigma schon uralt ist, heute also längst keinen "Jugendschutz" mehr beanspruchen kann, und dass jene Theorien, die im Lauf der Wissenschaftsgeschichte mithilfe der empirischen Methode überwunden wurden (z.B. die Äthertheorie in der Physik), nicht annähernd so hochgradig widerlegt und inkonsistent waren, wie es das kreationistische Schöpfungsparadigma ist.[6] Es ist also offensichtlich, dass die Berufung auf LAKATOS eine Immunisierungsstrategie darstellt; denn offenbar beabsichtigt W+W, den "harten Kern" des Schöpfungsparadigmas beliebig lang gegen missliebige empirische Daten und gegen die Ergebnisse wohl etablierter Naturwissenschaften zu halten. Dies ist das genaue Gegenteil von Ergebnisoffenheit! 4. Empörung als Stilmittel: Wie man sich ein Argument erspart Dass das Einrichten LAKATOSscher "Schutzreservate", wie es der Kreationismus pflegt, eine Immunisierungsstrategie ist und in diesem Bereich keinen Erkenntnisfortschritt mehr zulässt, habe ich anhand eines fiktiven Beispiels einer "kreationistischen Astrophysik" demonstriert. Ich schreibe: "Inhaltliche Vorfestlegungen, wie sie der Kreationismus pflegt, gibt es in den Naturwissenschaften nicht. Ein schönes Beispiel ist die 'Kopernikanische Wende': Man erkannte, dass nicht, wie die antike Astronomie mehr als tausend Jahre gelehrt hatte, die Erde im Zentrum des Planetensystems steht, sondern die Sonne. In Anbetracht zahlreicher Beobachtungen sowie aufgrund revolutionärer Einsichten in die damals neu aufkeimende Newton'sche Physik schien es am einfachsten, die Grundüberzeugung von der Zentralposition der Erde fallenzulassen. Zu viele Inkonsistenzen hätten sich mit Blick auf die Physik daraus ergeben. In dieser Situation befindet sich der Kreationismus zwar nicht in Bezug auf das Planetensystem, aber auf die Geschichte des Kosmos und des Lebens. So ist es zum Beispiel unmöglich, an eine 6000 bis 10000 Jahre alte Erde zu glauben, ohne abenteuerliche Hilfshypothesen über beschleunigten radioaktiven Zerfall usw. zu konstruieren, die das gesicherte Wissen der Naturwissenschaften ad absurdum führen. Es ist also offensichtlich, dass der "Konflikt Glaube und Naturwissenschaft" nicht durch die "atheistische Evolutionsbiologie", sondern durch den religiösen Fundamentalismus entsteht." Argumentativ weiß W+W darauf anscheinend nichts zu entgegnen und reagiert mit einem ausgesprochen emotionalen Appell: "Trauriger Höhepunkt dieser verfehlten [Aha!] Argumentation ist Neukamms Meinung, 'kreationistische Astrophysik' hätte versuchen müssen, 'das überkommene geozentrische Weltbild an die empirischen Befunde anzupassen'. Das ist Unsinn, der offensichtlich dem Zweck dient, W+W lächerlich zu machen." Nun hätte der Leser sicher gerne gewusst, weshalb die Argumentation verfehlt sein soll, warum sie unsinnig ist und warum hier etwas lächerlich gemacht wird. Diese Behauptungen werden einfach argumentationslos (!) in den Raum gestellt – und die gesamte, seitenlange Argumentation mit diesen zwei knappen Sätzen vom Tisch gewischt. Offensichtlich soll der emotionale Appell die Leser davon abhalten, bis zum Argument vorzudringen. Macht sich W+W durch den Gebrauch solcher Rhetorik nicht selber lächerlich? Was die kreationistische Astrophysik in diesem fiktiven Beispiel hätte [!] versuchen müsse, praktiziert W+W ganz konkret [!] jeden Tag, wenn es um darum geht, selektiv empirische Daten im Rahmen einer "Kurzzeitschöpfung" zu deuten. Es gibt beliebig viele Beispiele, die das beweisen, eines davon diskutiert NEUKAMM (2007b). In diesem Artikel wird deutlich, wie massiv der Autor Harald BINDER das wissenschaftliche Prinzip der Kohärenz verbiegen muss, um zu dem weltanschaulich "gewünschten" Ergebnis zu gelangen. 5. Der Unterschied Naturwissenschaft - Naturgeschichtsforschung W+W bedient sich der generellen Methode, zwischen Naturwissenschaft und Geschichts- (bzw. Ursprungs-) Forschung zu unterscheiden. In naturwissenschaftlichen Theorien, das erkennt selbst W+W an, sind übernatürliche Schöpfungseinflüsse als Modellbildungsinstanz unbrauchbar, in der Geschichts- und Ursprungsforschung sollen sie dagegen fruchtbar sein!? In meinem Aufsatz legte ich dar, warum man die naturwissenschaftliche "Methode" (die keine "Wunder" als Erklärung vorsieht, solange entsprechende Wunder wie Telepathie, Telekinese, das Wirken von Gebeten, "geistige Verursachung" wie eine Schöpfung "durch das Wort" usw. usf. nicht empirisch aufzeigbar sind), auch nur einheitlich in Raum und Zeit anwenden kann, also auch in der Zeit: Würde man unbekannte und unerforschliche Wirkfaktoren als Erklärung akzeptieren, wäre das Betreiben von Wissenschaft sinnlos – das ändert sich nicht plötzlich immer dann, wenn sich der Wissenschaftlicher anschickt, Ereignisse in der Vergangenheit zu rekonstruieren. Anders gesagt: Wer für die Ereignisse von "gestern" supranaturalistische Handlungen in Betracht zieht, wo Experimente und Detailerklärungen Mangelware sind und scheinbar zweckgerichtete Prozesse in der Natur ablaufen, der hat kein gutes Argument, um im "Hier und Jetzt" nicht ebenfalls supranaturalistische "Erklärungen" heran zu ziehen, wo diese Bedingungen erfüllt sind, wo Experimente scheitern usw.[7] In dieser Hinsicht ist die wissenschaftliche Methode (genauer gesagt: die Methodologie), also die Art und Weise, wie Tatsachen theoretisch erschlossen, empirisch überprüft und dann entweder als bestätigt oder als widerlegt betrachtet werden, für alle Wissenschaften gleich. Was entgegnet W+W darauf? "Neukamm bestreitet … dass die Naturgeschichte methodisch anders erforschen ist als gegenwärtig regelhaft ablaufende und experimentell erforschbare Prozesse … Dennoch gibt es grundlegende Unterschiede, wie in 'Evolution – ein kritisches Lehrbuch' und Internetartikeln ausführlich dargelegt wird. Auf die dort erläuterten Vorgehensweisen naturhistorischer Forschung geht Neukamm nicht ein. Stattdessen wirft er verschiedene Fragestellungen und Methoden durcheinander und stellt irrelevante Vergleiche an." Wie W+W zu dieser Einschätzung gelangt, ist mir unerfindlich. Die Diskussion drehte sich nie um die Frage, ob bei der Rekonstruktion von experimentell Reproduzierbarem und historisch Einmaligem methodische Unterschiede zum Tragen kommen. Der Dreh- und Angelpunkt der Debatte ist ein anderer: Methodische Beschränkungen (z.B. das Fehlen experimenteller Wiederholbarkeit) bei der Erforschung der Naturgeschichte schwächen nicht die Qualität und Aussagesicherheit, also den methodologischen Status, historischer Theorien. Ein Beispiel: Der Urknall ist nicht experimentell reproduzierbar – und trotzdem ist die Urknalltheorie empirisch bestens abgesichert; so gut, wie es auch eine Experimentalwissenschaft nur sein kann. Bei der Überprüfung (und Bestätigung) der Urknalltheorie kommen nämlich dieselben Kriterien zum Einsatz, wie bei der Überprüfung der Atomtheorie beispielsweise: Alle wesentlichen Vorhersagen der Urknalltheorie haben sich bewahrheitet, zahlreiche Befunde lassen sich ohne den Urknall nicht vernünftig erklären, und alternative Deutungen sind nicht annähernd konsistent. (Eine ausführliche Begründung würde hier zu weit führen, nachzulesen ist sie in GAßNER & LESCH 2014). Warum wird dies überhaupt erwähnt? Weil W+W die irrige Behauptung in die Welt setzt, die methodischen Beschränkungen bei der Rekonstruktion historischer Sachverhalte (Urknall, Evolution) hätten zur Konsequenz, dass der Bewährungsgrad der historischen Theorien (Urknalltheorie, Evolutionstheorie) wesentlich geringer sei als bei wohl etablierten Experimentaltheorien. Diese Behauptung ist lediglich ein Vorwand, um der Evolutionstheorie den naturwissenschaftlichen Status abzusprechen und gleichzeitig die Tür der Wissenschaft weiter in Richtung übernatürlicher Einflüsse aufzustoßen: Wenn Evolution nämlich nicht experimentell wiederholbar ist, nicht vorhersagbar ist, nicht mit mathematischer Präzision beweisbar ist usw., dann, so die W+W-Logik, sei Schöpfung eine mindestens ebenso legitime Deutungsmöglichkeit. Um die Absurdität dieses Arguments vor Augen zu führen, bemühe ich nach W+W gern "irrelevante" Vergleiche: Das Wettergeschehen beispielsweise ist nicht (hinreichend genau) vorhersagbar, nicht experimentell reproduzierbar, und die Erklärungen der Meteorologie sind nicht mit mathematischer Präzision beweisbar. Trotzdem wäre es absurd, daraus zu folgern, dass die "naturalistischen" Faktoren und Erklärungen der Meteorologie nicht hinreichend naturwissenschaftlich abgesichert seien, oder darin gar eine Legitimation zu sehen, übernatürliche Einflüsse eines Gottes in eine Theorie über die Entstehung des Wetters (oder Weltklimas) einzubauen. Genau das aber versucht W+W in Bezug auf die Evolutions- und Urknalltheorie: Methodische Probleme wie die Unmöglichkeit, Naturereignisse experimentell zu reprozieren, werden von W+W thematisiert, um den Eindruck zu erwecken, die betreffende Evolutionstheorie sei naturwissenschaftlich nicht hinreichend belegt, und um anzudeuten, dass eine (göttliche) Schöpfung eine legitime Deutungsalternative sei. Da diese Form der Argumentation allerdings auf die meisten der heute wohletablierten (gemeinhin als naturwissenschaftlich anerkannte) Theorien angewendet werden kann, wird klar, dass dieser Einwand nichts Wert ist: Gott als Wirkfaktor bei der Entstehung des Lebens zu berücksichtigen, ist nicht weniger absurd als der Versuch, Gott als Wirkelement ins Wettergeschehen zu implementieren. Derartige Vergleiche sind nicht annähernd absurd, sie verdeutlichen nur die Inkohärenz evolutionskritischer Argumentation. Um es noch einmal zu wiederholen: Methodische Unterschiede zwischen Geschichts- und Naturwissenschaft legitimieren nicht den Rückgriff auf übernatürliche Wirkursachen in den so genannten "Ursprungstheorien". Man kann ja nicht einerseits zugestehen, dass es willkürlich und unwissenschaftlich wäre, aus unerklärlichen Gründen gescheiterte Experimente oder nicht vorhersagbare, nichtreproduzierbare Naturereignisse aus Physik, Chemie, Astronomie und Meteorologie als das Ergebnis wundersamer Eingriffe einer göttlichen Wesenheit zu deuten, andererseits aber genau solche "Allerklärungen" immer dann zu akzeptieren, wenn sie den in der Vergangenheit liegenden Ursprung von Sternen, Planetensystemen, Biomolekülen und Lebewesen betreffen.
Merke: Dieses Zwiedenkens ist inkonsistent, denn eine übernatürliche Deutung wird nicht mit einem Mal zur wissenschaftlich brauchbaren Alternative, wenn die Theorie vergangene Ereignisse zum Thema hat. Hier wird deutlich, dass die Motivation, eine Schöpfung als Erklärungsansatz in historischen Theorien einzubeziehen, nichts mit Wissenschaft zu tun hat, sondern ausschließlich religiös motiviert ist. Es ist kein Zufall, dass Menschen, die so argumentieren, ausschließlich in ultrakonservativen religiösen Lagern zu verorten sind, deren weltanschauliche Bewegung man als Kreationismus bezeichnen kann. 6. Entstehung des Lebens Dass das Leben auf der Erde auf natürliche Weise entstanden ist, dafür gibt es zahlreiche Indizienbelege (nachzulesen beispielsweise in KAISER 2009 sowie in NEUKAMM & KAISER 2014). Einer der vielen Belege stützt sich darauf, dass in Experimenten zur Simulation der präbiotischen Chemie keineswegs beliebige Verbindungen aus "Beilsteins Handbuch der Organischen Chemie" entstehen, sondern häufig wichtige Grundbausteine des Lebens wie Aminosäuren, Zucker, Nukleotide usw. Auch hoch komplexe Moleküle wie Porphyrine wurden entdeckt - und zwar wurden diese, entgegen der Behauptung von W+W, nicht im Rahmen komplizierter Kunstsynthesen aus Tetrapyrrol-Makrozyklen hergestellt, sondern mehr oder weniger zufällig bei MILLER-Experimenten der "2. Generation" entdeckt (vgl. KAISER 2009, 177; 203). Nicht nur das: Es zeigt sich immer deutlicher, dass Bausteine des Lebens unter einem breiten Spektrum von Randbedingungen entstehen können, selbst in so unterschiedlichen und auf den ersten Blick sogar lebensfeindlich erscheinenden Regionen des Kosmos wie in der Tiefsee, im Weltall und in Meteoritengestein! Warum ist dies ein wichtiger Indizienbeleg für die natürliche Entstehung des Lebens? Weil dieser Befund aus evolutionärer Sicht (und nur aus evolutionärer Sicht) absolut Sinn ergibt, d. h. spezifisch zu erwarten ist: Es leuchtet ein, dass diejenigen Biomoleküle, die sich aufgrund physikalisch-chemischer Gesetzmäßigkeiten am häufigsten auf der Erde bilden (oder durch Meteoriten dorthin transportiert wurden), am ehesten als Bausteine von Lebewesen dienen. Aus Sicht eines wie auch immer gearteten "intelligenten Designs" würde diese Koinzidenz dagegen keinen Sinn ergeben, denn es wäre nicht zu erklären, weshalb ein intelligenter "Schöpfer" in seinem Labor überwiegend abiotisch entstandene Materialien verwenden sollte, wo er doch auf Millionen ähnliche Verbindungen aus "Beilsteins Handbuch der Organischen Chemie" zurückgreifen könnte! Die Ergebnisse belegen also, dass unter geeigneten, präbiotisch plausiblen Bedingungen viele Grundbausteine des Lebens mit naturgesetzlicher Notwendigkeit entstehen – was aus Sicht der chemischen Evolution zu erwarten ist! Im "Materialdienst" der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen verdeutliche ich unter der Überschrift "Was ist eine Beschreibung, was eine Erklärung?" den Beleg mithilfe der hypothetisch-deduktiven "Methode" (bzw. mit dem sog. HEMPEL-OPPENHEIM-Schema der Erklärung):
Da die Konklusion (Folgerung, Vorhersage) als empirisch bestätigt gelten kann, gilt nach der hypothetisch-deduktiven Methode auch die Prämisse als bestätigt. Natürlich handelt es sich dabei nicht um einen wahrheitsbewahrenden Schluss, denn er ist nicht formallogisch gültig. In den Naturwissenschaften bleibt aber gar nicht anderes übrig, als genau so zu verfahren: Man muss immer zunächst eine Theorie oder eine Hypothese (in diesem Fall: Prämisse 1) voraussetzen, daraus eine Folgerung ableiten ("Wenn…, dann…") und diese Vorhersage dann anhand von Experimenten überprüfen. Wird die Vorhersage bestätigt, wird auf die Richtigkeit der Theorie oder Hypothese (Prämisse 1) zurück geschlossen. Bezeichnenderweise aber erkennt W+W die empirische Bestätigung dieser theoretischen Erwartung nicht als Beleg für eine Abiogenese (chemische Evolution) an. Man fragt sich, ob diese Studiengemeinschaft verstanden hat, wie Theorienprüfung und Bestätigung funktionieren, denn wenn man die hypothetisch-deduktive "Methode" der Naturwissenschaften akzeptiert, ist es keine Frage der Deutung mehr, ob man die Belegsituation akzeptiert oder nicht, sondern eine Frage der Logik! Jedenfalls schickt sich W+W an, den Indizienbeleg gleich auf mehreren Wegen (rhetorisch) zu untergraben. Eine immer gern angewandte Methode besteht darin, einfach den Deutungsrahmen zu wechseln und zu behaupten: "Man könnte die experimentelle Bildung von Aminosäuren genauso gut als Beleg dafür werten, dass ein Chemiker – oder irgendein Designer – gezielt Aminosäuren herstellen kann." Dieser Einwand ist nicht gerade originell, denn grundsätzlich alles lässt sich als Ergebnis eines mysteriösen Designs deuten. Aber können solche unspezifischen Deutungen als Belege gelten? Wie soll der Befund, dass sich primär ganz bestimmte Aminosäuren bilden, spezifisch durch "Design" vorhergesagt werden, wenn durch "Design" grundsätzlich jedes nur denkbare Molekül mit gleicher Funktion hergestellt werden kann? Da "Design" das, was es zu erklären gilt, also gerade nicht erklären bzw. vorhersagen kann, liegt – ganz im Gegensatz zur evolutionären Interpretation – auch kein Beleg für ein Design vor! Es ist also kaum möglich, den Einwand von W+W nicht als bewusste Irreführung der Leserschaft zu interpretieren, und zwar noch aus einem zweiten Grund: "Gezielt Aminosäuren herzustellen" bedeutet synthetische Chemie mit dem vorweg genommenen Ziel, bestimmte Stoffe zu produzieren unter Anwendung bestimmter, chemischer Syntheseverfahren. Das aber passiert bei den Experimenten zur Abiogenese gerade nicht: Hier werden die Bedingungen der Ur-Erde nachgestellt, und dann wird geschaut, was dabei herauskommt. Denn "gezielte Herstellung" bedeutet synthetische Chemie mit dem vorweg genommenen Ziel, bestimmte Stoffe zu produzieren unter Anwendung bestimmter, chemischer Syntheseverfahren. Das aber passiert bei den Experimenten zur Abiogenese gerade nicht: Hier werden die Bedingungen der Ur-Erde nachgestellt, und dann wird geschaut, was dabei herauskommt. Das heißt, präbiotische Synthesen mit evolutionären Algorithmen sind das genaue Gegenstück zum "rationalen Design", weil sie gerade keine planvolle Steuerung enthalten.[8] Aufgrund fehlender Steuerung ist es auch nur allzu verständlich, dass, so lautet der Einwand von W+W, "… in Simulationsversuchen nie alle in Lebewesen vorkommenden Aminosäuren erzeugt werden." Ja, wie denn auch? Abgesehen davon, dass es triftige Gründe gibt anzunehmen, dass zumindest Tryptophan und Methionin erst nachträglich hinzu kamen, also von vornherein biotisch synthetisiert wurden: Will W+W sämtliche heterogenen Nischen der Urerde mit allen darin ablaufenden chemischen Reaktionen, Fließgleichgewichten und Folgereaktionen, die bei der Entstehung des Lebens eine Rolle gespielt haben könnten, in einem einfachen Reaktionskolben nachgestellt bekommen? Ein solcher Einwand ist nicht nur naiv, er ist grob irreführend, weil er den Lesern suggeriert, es müssten in Simulationsexperimenten alle in Lebewesen vorkommenden Aminosäuren nachgewiesen werden, um den oben genannten Indizienbeweis zu führen. Das ist selbstverständlich nicht der Fall. Wenn man bedenkt, wie einfach die Simulationsapparaturen im Vergleich zur Wirklichkeit sind und welche Fülle an biotisch relevanten Verbindungen sie trotzdem hervorgebracht haben, dann wirkt der Indizienbeweis umso schlagender. Im Weiteren spielt W+W auf der gewohnten Klaviatur des "argumentum ad ignorantiam", um die Indizien zu schwächen. Dies stellt sie dadurch an, dass sie die Entstehung von Aminosäuren und anderen Grundbausteinen vollkommen willkürlich als unwesentlich wegdefiniert und stattdessen andere Prozesse für relevant erklärt, über die wir weniger gut Bescheid wissen: "Mit der Bildung von Aminosäuren ist ... noch kein wesentlicher [sic!] Schritt zur Entstehung zum Leben geschafft… Wesentlich wären der Nachweis der Bildung von spezifischen Makromolekülen wie Proteine und DNA, die Etablierung von Wechselwirkungen zwischen Proteinen, DNA und anderen Stoffen, der Aufbau von Stoffwechselwegen, Entstehung molekularer Maschinen, die Bildung einer selektiv durchlässigen Zellhülle, des genetischen Codes…" usw. usf. "Die einfachsten Lebewesen haben geschätzt 300 Gene und viele Zellinhaltsstoffe und Zellstrukturen. Geschafft auf diesem Weg dorthin sind gerade einmal Aminosäuren und einige andere einfachere Biomoleküle … Das Wissen aus vielen Jahrzehnten biochemischer Forschung macht es vollkommen abwegig, das Scheitern in der Lebensentstehungsforschung nur als 'Lücke' zu deklarieren." Moment mal, immer der Reihe nach: Wie kommt man eigentlich auf die Idee zu behaupten, die Entstehung von Aminosäuren sei kein wesentlicher Schritt der Abiogenese? Ohne diesen "unwesentlichen" Schritt wären alle darauf aufbauenden Schritte der Lebensentstehung unmöglich – auch die Genese des komplexesten Organismus fängt mit seinen Grundbausteinen an. Und warum widmet sich W+W in seinem "Lehrbuch" eigentlich seitenlang der Frage nach der abiotischen Entstehung von Aminosäuren, Zuckern, Nukleinbasen usw., wenn es sich dabei nur um unwesentliche Teilschritte handelte, deren Kenntnis sowieso nichts ändern würde? Kein Zweifel – die Charakterisierung ist eine Verlegenheitsantwort, ein rhetorischer Trick, um all das, was man heute schon weiß, als irrelevant zu definieren (!), um vergessen zu machen, dass die Abiogeneseforschung extrem progressiv in ihrer Entwicklung ist. Was die von W+W als "wesentlich" deklarierten Schritte anbelangt: Richtig ist, dass die meisten dieser Schritte noch nicht auf befriedigende Weise erklärt werden können, beispielsweise die Entstehung des genetischen Codes. Zur Wahrheit gehören aber auch zwei methodologische Aspekte: 1. Die Tatsache, dass wir heute noch immer nicht genau wissen, wie bestimmte Strukturen entstanden sind, ändern nichts an den Belegen, die dafür sprechen, dass sie durch (chemische oder biologische) Evolution entstanden sind. Die Wissenschaft verfügt heute beispielweise über zahlreiche Befunde, die belegen, dass sich der genetische Code aus einem Ensemble aus sich selbst replizierenden RNA-Spezies ("Quasispezies") entwickelt hat (KAISER 2009, 198ff.). Die Befunde sind so erdrückend, dass in der Fachwelt daran kaum noch vernünftige Zweifel bestehen. Die Tatsache, dass wir noch nicht im Detail wissen, wie dies geschah, ändert daran überhaupt nichts! Das heißt mit anderen Worten: Da wir genügend Indizien haben, die das evolutionäre Rahmen-Szenario stützen, ist die Frage nach den genauen Mechanismen zunächst zweitrangig. In diesem Sinn handelt es sich tatsächlich um nicht mehr als um Erkenntnislücken; denn die mechanismischen Detailfragen sind der Grundfrage nach ihrer natürlichen Entwicklung und den Belegen für selbige logisch untergeordnet. Folglich können offene Fragen an den Indizien für eine Abiogenese nichts ändern! 2. Auch wenn wir noch keine befriedigenden Antworten auf die Frage nach der Herkunft bestimmter zellulärer Strukturen geben können, steht fest, dass die Entwicklung der Abiogeneseforschung weitaus progressiver ist, als W+W lieb sein kann: Die Entstehung spezifischer Makromoleküle wie Proteine und DNA, des genetischen Codes, selektiv durchlässiger Zellhüllen, chiraler Bausteine und dergleichen ist heute nämlich längst nicht mehr so rätselhaft und unerklärlich, wie diese W+W-Vereinigung in ihren tendenziösen Publikationen darzustellen versucht! Leider ist es unmöglich, an dieser Stelle auf Details einzugehen, dies würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Aber dass es heute schon gute, mit der Empirie übereinstimmende Modellvorstellungen darüber gibt, wie sich der genetische Code (etwa über Aminosäure-Aptamere) herausgebildet hat, wie sich chirale Bausteine und selektive Zellhüllen gebildet haben und wie die erste lebende Zelle entstanden sein könnte, ohne auf die von W+W übertrieben komplex dargestellten Minimalbedingungen des Lebens mit seinen… "…300 Gene(n) und viele(n) Zellinhaltsstoffe und Zellstrukturen..," angewiesen zu sein, lässt sich durch die Literatur dutzendfach belegen. Ein empfehlenswerter Übersichtsartikel hierzu stammt von KAISER (2009); weiterhin entwickelte der Nobelpreisträger Jack SZOSTAK ein Szenario, welches als derzeit beste Annäherung an den Ursprung des Lebens aus unbelebter Materie gelten kann. So formuliert SZOSTAK (2012) das Szenario einer RNA-gesteuerten Lipid-Synthese, wobei geeignete Ribozyme eine kontrollierte Anlagerung von Fettsäuremolekülen in die Membranen ermöglichen. Nachdem entsprechende RNA-Moleküle erstmals zwischen Lipidmembranen eingeschlossen waren, wurde die kontrollierte und geordnete Vervielfältigung von RNA und Zellmembran sowie deren wechselseitige Stabilisierung möglich: Eine evolutionsfähige (Proto-) Zelle war entstanden. SZOSTAKs Szenario der präbiotischen Entstehung der ersten lebenden Zellen wird, Schritt für Schritt und allgemein verständlich, in dieser Youtube-Animation veranschaulicht (ins Deutsche von KERENG 2009). Als Ausgangspunkt der Evolution kann man sich Fettsäurevesikel und eine bestimmte Sorte aktivierter RNA-Bausteine vorstellen. Durch Kombination der verschiedenen Bausteine entstehen beliebig viele, unterschiedliche RNA-Molekül-Ketten in den Protozellen. In der Nähe heißer Quellen werden die Doppelstränge aufgespalten; an die einsträngige RNA können sich dann wieder RNA-Bausteine anlagern. Die RNA-Moleküle vermehren sich also zunächst spontan, d.h. ohne katalytischen Einfluss. Irgendwann befindet sich unter den RNA-Molekülen zwangsläufig eine Ribozym-Spezies, welche die Replikation katalysiert – dies ist der Beginn der Ko-Evolution von Fettsäure-Vesikel und RNA. Der Vorteil dieses Modells ist, dass all diese Schritte einzeln nacheinander ablaufen können. Es gibt nicht den Hauch einer Begründung anzunehmen, dass "300 Gene und viele Zellinhaltsstoffe", "Zellstrukturen" usw. simultan entstehen mussten. Wie so oft so erweist sich auch hier das Komplexitäts-Szenario von W+W als unbegründet, zumindest wenn man die in der Fachliteratur präsenten Modelle als Messlatte hernimmt. Wie geht nun W+W mit solcher Fachliteratur um? Ganz einfach, W+W tut so, als hätte es all die Fortschritte in der Erklärung und all die Indizien für eine natürliche Entstehung von Biomolekülen, chiralen Molekülen, des genetischen Codes und vielen anderen Zellbestandteilen, auf die KAISER (2009), NEUKAMM & KAISER (2014), SZOSTAK (2012) u.v.a. detailliert eingehen, nie gegeben. Allein durch Ignoranz wird der Eindruck erzeugt, wir seien heute in den "wesentlichen" Fragen in den letzten 60 Jahren keinen einzigen Schritt weiter gekommen, als sei eine Erklärung aufgrund der enormen Komplexität des Lebens ferner denn je. Wie ist dies zu bewerten? Fällt die wüste Ad-hominem-Kritik der Autoren, ich würde dem Publikum wissenschaftliche Ergebnisse "vorgaukeln", sogar Behauptungen "erfinden" und "… nicht im Entferntesten den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zur Frage nach der erstmaligen Entstehung des Lebens" wiedergeben, W+W nicht selber auf die Füße? Ich höre schon den Einwand: Vieles dessen, was die Wissenschaft präsentiert, beruht auf Modellvorstellungen, oft mehr auf Spekulation als auf gesicherten "Tatsachen", vieles ist umstritten, manches noch viel zu vage, um als Erklärung zu gelten, usw. usf. Richtig! Aber ein Modell, und sei es noch so vage, das auch nur in Ansätzen einen der "wesentlichen" Teilschritte der chemischen Evolution kausal erklären könnte, ist besser als gar kein Modell – und allemal besser als ein "anonymes Design" oder eine fiktive Wundergeschichte aus dem Alten Testament! Die Wissenschaftsfeindlichkeit von W+W zeigt sich auch hier wieder im Umgang mit den Evolutionsindizien, mit den Modellerklärungen und bei der Interpretation vom "Scheitern" eines Forschungsprogramms: Die Abiogeneseforschung ist noch sehr jung, kaum 60 Jahre alt. Sie ist zudem komplex und extrem progressiv in der Entwicklung, das heißt, unser Wissen über die Entstehung einzelner Biomoleküle und Zellstrukturen mehrt sich von Tag zu Tag – das Glas der Erkenntnis wird also zusehends voller. Wenn die Forschung so alt ist wie die Physik heute, darf W+W (oder deren Nachfolgeorganisation) gerne wiederkommen und Bilanz ziehen. Aber wer heute, in diesem Anfangsstadium schon aufgeben (eigene Abiogeneseforschung betreibt W+W nicht) und ein "Scheitern" proklamieren will, um einen "Designer" als Erklärung einzuschieben, erliegt ganz klar dem argumentum ad ignorantiam (MAHNER, pers. comm.). Bei diesem Argument handelt es sich um einen logischen Fehlschluss, bei dem eine Theorie (in unserem Fall die Evolutionstheorie) auf der Basis fehlenden Wissens für unplausibel erklärt wird und eine andere Theorie (hier: Intelligent Design) im Gegenzug für plausibel. Obwohl W+W bestreitet, diesem Fehlschluss zu erliegen, begeht sie ihn doch unablässig. Denn es ist ganz einfach nicht wahr, dass fehlendes Wissen die Evolutionstheorie schwächt – sonst gäbe es schlichtweg nichts mehr zu erforschen. Jenseits der Grenzen unseres Wissens beginnt das Nichtwissen, nicht mehr und nicht weniger. 7. Literatur GAßNER, J.M. & LESCH, H. (2014) Das aktuelle kosmologische Weltbild: Ein Produkt evolutionären Denkens. In: NEUKAMM, M. (Hg.) Darwin Heute. Evolution als Leitbild in den modernen Wissenschaften. WBG, Darmstadt, 51-88. HEILIG, C. (2011) Anonymes oder Spezifisches Design? Vergleich zweier methodischer Ansätze für Forschung im Rahmen der teleologischen Perspektive. HEMMINGER, H. (2014) Kreationismus: Wie man die Wissenschaft ruiniert. Materialdienst EZW 8/2014, 292-295. JUNKER, R. (2004) "Harter Kern" und Hilfshypothesen von Forschungsprogrammen in der Schöpfungsforschung. JUNKER, R. & ULLRICH, H. (2014) Stellungnahme zum EZW-Text "Kreationismus: Wie man die Wissenschaft ruiniert". Teil III: Festlegung auf den Naturalismus. Zugr. a. 23.10.2014. KAISER, P.M. (2009) Chemische Evolution. In: NEUKAMM, M. (Hg.) Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus. V&R, Göttingen, 171-211. KANITSCHEIDER, B. (1999) Es hat keinen Sinn, die Grenzen zu verwischen. Spektrum der Wissenschaften 11, 80-83. MAHNER, M. (2003) Naturalismus und Wissenschaft. Skeptiker 16, 137– 139. MAHNER, M. 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Materialdienst EZW 10/2014, 381-385. Fußnoten [1] Deshalb ist der Naturalismus gerade kein ideologischer Selbstzweck, sondern die derzeit am besten begründete Nullhypothese in der Wissenschaft (vgl. dazu MAHNER 2003). Der Naturalist lehnt "Schöpfung" u.a. obskure Dinge also nicht a priori ab, sondern wartet darauf, bis die Gegenseite eine ordentliche Theorie des Übernatürlichen anbieten und entsprechende Befunde vorweisen kann, die eine transnaturale Beeinflussung der Welt plausibel machen würden. Der Naturalismus (bzw. Materialismus) kann somit als falsch erkannt werden: In der Tat müsste man sofort zugestehen, dass eine "Wunderwelt", wie sie in der Bibel beschrieben wird, mit Totenerweckung, einer Schöpfung durch das gesprochene Wort usw. mit dem Materialismus und Naturalismus nicht vereinbar ist. Der Naturalismus kann also scheitern, indem die Wissenschaft scheitert. Eine weitere Möglichkeit nennt MAHNER (pers. comm.): "Es müsste doch leicht zu bewerkstelligen sein, dass Messungen und Experimente bei Wiederholung ständig total andere Ergebnisse bringen, etwa weil Gott ständig die gesetzmäßigen Eigenschaften der Dinge ändert". Das "Dumme" für W+W ist nur: So sieht die Welt gerade nicht aus! [2] Im Gegenteil: Bereits im Jahr 1909 konnte der Nobelpreisträger Hermann Muller, ganz dem Boden der Darwinistischen Evolutionstheorie verhaftet, logisch zeigen, dass nichtreduzierbare Komplexität (Muller gebrauchte damals freilich andere Begriffe) zwangsläufig auftritt, wenn Biosysteme Schritt für Schritt durch Merkmalsaddition entstehen, dabei komplexer werden und sich funktional diversifizieren. Nichtreduzierbare Komplexität bei Lebewesen ist also alles andere als ein "Design-Merkmal", sondern ironischerweise die unmittelbare Konsequenz der Phylogenese. [3] Diese Erkenntnis stammt allerdings nicht von JUNKER selbst; nachdem ihm Naturalisten die Zusammenhänge jahrelang vergeblich versuchten zu erklären, gelang es erst seinem zeitweiligen Weggefährten Christoph HEILIG (der sich, wie erwähnt, aufgrund der unhaltbaren Argumentation inzwischen von W+W löste), ihm diesen Punkt auseinander zu setzen. Trotzdem ist es Reinhard JUNKER bis heute nicht gelungen, sich vollständig von seiner vorherigen Position zu lösen; er vertritt bis heute die irrige Annahme, aus einem "anonymen Design" ließe sich irgendetwas Spezifisches hinsichtlich der Struktur geschaffener Dinge vorhersagen. [4] Vgl.: NEUKAMM (2014): Warum der Kreationismus Ozeane zum Kochen bringt. Wie zuverlässig sind radiometrische Altersbestimmungen? [5] Eine der zahlreichen unbegründeten Hilfshypothesen, mit denen W+W ihr Paradigma umgibt, um es vor Widerlegung zu schützen, ist die Annahme variabler Halbwertszeiten, mit denen man hofft, das Problem des "hohen Erdalters" wegerklären zu können. Solche Hilfshypothesen sind durch nichts begründet, sie werden ad hoc erfunden, um die naturwissenschaftliche Widerlegung ihres Weltbildes zu umgehen. Dass W+W diesbezüglich Rechtfertigungsprobleme einräumt, ändert nichts am Vorwurf, dass sie damit die empirische Methode unterläuft, deren Sinn ja gerade darin besteht, falsche Theorien zu erkennen und ggf. auszumerzen. [6] Man braucht sich nur die Probleme anzusehen, die sich der Kreationismus einhandelt, wenn er versucht, die Konstanz der Halbwertszeiten infrage zu stellen, um das Erdalter mit biblischen Aussagen zu harmonisieren. Jeder dieser Versuche ist wissenschaftlich wie wissenschaftstheoretisch unhaltbar und führt zu absurden Konsequenzen. In letzter Konsequenz läuft dies darauf hinaus, dass man nicht nur den "Goldstandard" der physikalischen Zeitmessung angreifen muss, sondern elementare Prinzipien der Kernphysik selbst. Wie bei einem Domino-Spiel fiele damit eine wohletablierte naturwissenschaftliche Theorie nach der anderen, wenn der Kreationismus Recht hätte. [7] MAHNER (2007b) hält diese Art des "Nicht-Interventionalismus" für inkonsequent, ja für eine willkürliche Erfindung: Der Kreationist geht offenbar davon aus, dass immer dann, wenn wir gerade ein Experiment durchführen, "alles Übernatürliche ganz schnell weg schaut", sich aber dort, wo es kompliziert und unvorhersehbar wird und wo es um vergangene Entstehungsphänomene geht, ungehemmt austobt. [8] Die einzige "Steuerung", wenn man so will, liegt in der Verwendung reiner Ausgangsverbindungen in höherer Konzentration, was aber methodische Gründe hat, da die Feststellung des Produktspektrums Analysenreinheit voraussetzt und höhere Konzentrationen (wegen der höheren Ausbeuten) die chemische Identifikation der Produkte erleichtern. Die Reaktionsverhältnisse, die auf der Ur-Erde geherrscht haben, werden dadurch aber nicht verfälscht, weil geringere Ausbeuten wegen der auf mineralischen Oberflächen oder in Fettsäure-Vesikeln zwangsläufig stattfindenden Anreicherungs- und Selektionsprozesse kaum eine Rolle spielen. Der häufig erhobene Einwand, Verunreinigungen in der "Ursuppe" würden Kettenabbrüche und "unerwünschte" Nebenprodukte hervorbringen, ist deshalb (wenngleich richtig) auch völlig belanglos. Autor: Martin Neukamm |