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Druck-Version Neues aus der Forschung Neues aus der Grube MesselVogelblütigkeit vor 47 Millionen JahrenEin neuer von Gerald MAYR und Volker WILDE 2014 vorgestellter Fund aus dem Eldorado des Tertiärs, des vor den Toren Darmstadts liegenden Weltnaturerbes der Grube Messel, wirft ein neues Licht auf die Evolution der Bestäubungssyndrome – des Miteinanders zwischen Tieren und Pflanzen im Zusammenhang mit der Bestäubung. Neben abiotischen Vektoren (v.a. Wind) spielen biotische Pollenüberträger eine eminent wichtige Rolle. In erster Linie sind hier natürlich Insekten zu nennen, aber auch Vögel, Reptilien und Säuger sind als Pollenüberträger bekannt. Die ersten fossilen Belege von Insekten, die im Verdacht stehen, Blüten ausgebeutet haben zu können, stammen aus der unteren Kreide und sind etwa 110 Mio. Jahre alt (GRIMALDI & ENGEL 2005). Die Anfänge der Bestäubung durch Vögel (Ornithophilie) werden nun durch einen neuen Fund erhellt. Titelbild: Skelett von Pumiliornis tessellatus aus dem mittleren Eozän. Der eingerahmte Bereich zeigt die Position des Mageninhalts. Bildquelle: © Sven Tränkner, Gerald Mayr und Volker Wilde. Ein neuerdings präpariertes Vogelfossil (Pumiliornis tesselatus) zeigt nämlich im hervorragend erhaltenen Mageninhalt Klumpen von mehreren Hundert Pollenkörnern, die so gut erhalten waren, dass sie mikroskopisch untersucht werden konnten (siehe Titelbild). Die Außenhaut der Pollenkörner gehört aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung zu den widerstandsfähigsten pflanzlichen Strukturen überhaupt und widersteht auch den Magenenzymen – zumindest für eine Weile. Die Analyse der Pollenkörner zeigt nun, dass sie auf Grund ihrer drei Keimfurchen von einer Pflanze der höher entwickelten Samenpflanzen, die heute als "Eudicots" klassifiziert werden, stammten. (Für botanisch Informierte: Die altertümlichsten heute lebenden Gruppen der Eudicots sind u.a. die Hahnenfußartigen oder die Proteenverwandtschaft.) Das ist durchaus keine Überraschung, denn in der Zeit der Entstehung der Lagerstätte in der Grube Messel vor etwa 47 Mio. Jahren waren viele "moderne" Gruppen bereits entstanden. Neben den Pollenkörnern konnten im Mageninhalt spärliche Überreste von Insekten gefunden werden – zu wenige, um die Pollenfunde mit ihnen in Zusammenhang bringen zu können. So lassen sich diese Pollenkörner mit als mit dem Nektar aufgenommen deuten – eine Tatsache, die bei heutigen Blumenvögeln regelhaft zu beobachten ist. Der kleine Vogel hatte ein langes Schnäbelchen sowie einen Fuß, bei dem der vierte Zeh den drei anderen opponiert werden konnte, was darauf hinweist, dass das Tier sich gut auf Ästen oder Zweigen niederlassen konnte. Ähnlich wie bei Kolibris waren die Nasalöffnungen stark verlängert. Einer der heutigen Gruppen blütenbesuchender Vögel lässt sich Pumiliornis nicht zuordnen. Diese rezenten Blumenvögel sind wesentlich vielfältiger, als man erwartet: die bekannten Kolibris stellen nur einen Teil der Blumenvögel. Insgesamt sind Vertreter aus etwa 50 Vogelfamilien als Blütenbesucher bekannt. Die Merkmale des Vögelchens sprechen dafür, dass es die Blüten im Sitzen bzw. sich an einem Zweig festhaltend ausgebeutet hat – so wie es viele der modernen Blütenvögel – die Kolibris ausgenommen – immer noch tun. Auf der Pflanzenseite unterscheidet man demnach zwischen Sitzvogelblumen und Schwebvogelblumen, die ihr je eigenes Merkmalssyndrom aufweisen. Mit diesem Fund lässt sich der Beginn der Vogelblütigkeit mindestens auf die Zeit vor etwa 47 Mio. Jahre datieren. Wie die Blüten, die Pumiliornis besucht haben könnte, ausgesehen haben, lässt sich natürlich nicht sagen – die Merkmale von Vogelblumen wie rote bis schreiend bunte Färbung, fehlender Duft oder Nektarreichtum ist in Fossilien nicht nachzuweisen. Über die tatsächlichen Anfänge der Vogelblütigkeit weiß man nichts. Die frühesten bekannten Vögel stammen aus der Unterkreide, gehören aber keiner der rezenten Gruppen an. Je nach Autor geht man davon aus, dass frühestens in der späten Kreide oder gar erst im Tertiär (damit erst vor ca. 65 Mio.) die modernen Vogelgruppen aufgetreten sind. Und erst zu diesen gehören die heutigen Blumenvögel. Andererseits kennt man innerhalb der altertümlichen Samenpflanzengruppe der Magnoliiden, deren Ursprünge bis in die Unterkreide oder sogar ins Jura reichen, keine Vogelblumen – die treten erst in den höher evolvierten Gruppen auf (vgl. FRIIS et al. 2011). So ist es durchaus nicht ausgeschlossen, dass man mit dem neuen Messel-Fund nahe am Ursprung des Syndroms der Vogelblütigkeit und damit an der Wurzel der Koevolution beider Gruppen angelangt ist. Die Originalpublikation von MAYR & WILDE steht zum Download zur Verfügung. Literatur FRIIS, E.M.; CRANE, P.R.; PEDERSEN, K.R. (2011) Early flowers and angiosperm evolution. Cambridge University Press. GRIMALDI, D.; Engel, M. S. (2005) Evolution of the insects. Cambridge University Press. MAYR, G.; WILDE, V. (2014) Eocene fossil is earliest evidence of flower-visiting by birds. Biol. Lett. 20140223. Autor: PD Dr. Stefan Schneckenburger, Botanischer Garten der TU Darmstadt |