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Hier geht's zum Original Amazon-Buchbesprechung W.-E. Lönnig: 'Die Affäre Max Planck, die es (nie) gegeben hat'Köln, Selbstverlag (2011): Lönnig gegen den Rest der WeltSeine für das kreationistische Intelligent Design (ID) werbenden Texte auf dem Server des Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung (MPIZ) waren 2002 der Auslöser für eine der spektakulärsten Kampagnen in der deutschen Wissenschaftsgeschichte: am Ende wies das unter den Druck namhafter Biologen geratene MPIZ den betreffenden Mitarbeiter, den Pflanzengenetiker Wolf-Ekkehard Lönnig, an, seine das umstrittene Alternativkonzept zur Darwin'schen Evolutionstheorie behandelnden Seiten vom Institutsserver zu löschen. Ist Lönnig ein beklagenswertes Mobbingopfer atheistisch motivierter Machenschaften - oder ist er ein (Pseudo-) Wissenschaftler, der seine Arbeit für die Propagierung religiösen Obskurantismus mißbraucht? Das ist im Kern die Frage, die hinter dem Vorgang steht, hinter dem wiederum die entscheidende weltanschauliche Ursprungsfrage "Schöpfung oder Evolution" durchschimmert. Die von Lönnig herausgegebene Dokumentation "Die Affäre Max Planck" führt nicht wirklich näher zur Wahrheitsfindung, belegt aber umso deutlicher, welche tiefen seelischen Verletzungen die Auseinandersetzung in ihm hinterlassen hat. Nervtötende Detailkritik bis in einzelne Sätze seiner Gegner machen das Konvolut über weite Strecken unlesbar. Der nicht gerade üblichen Art, laufend Verbesserungsvorschläge für diese Textstellen vorzustellen, haftet etwas oberlehrerhaftes an. Heraushebende Formatierungen schreien den Leser fast schon an, als traue der Verfasser nicht der inhaltlichen Wirksamkeit. Ein konzentrierter Lesefluß ist so kaum über weite Strecken durchzustehen. Seine eingeschworenen Fans werden es trotzdem mit Entzücken aufnehmen. Selbstverständlich hält er seine Empfehlungen für das Schöpfungsbuch der Zeugen Jehovas, einer religiösen Propagandaschrift, als Einstiegslektüre für biologische Laien aufrecht. Und immer wieder erhebt Lönnig die groteske Behauptung eines "impliziten Berufsverbots", das gegen ihn und andere ID-Vertreter betrieben werde (er konnte bis zur ordentlichen Pensionierung weiter am MPIZ arbeiten, Siegfried Scherer als anderer Exponent des deutschen Kreationismus ist bis heute an der TU München führend tätig). Doch die schwersten Wunden müssen die fortwährenden Angriffe auf seine Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas geschlagen haben. Hier zieht sich ein roter Faden durch seine Rechtfertigungs- und Verteidigungsschrift, in der er alle dazu erhobenen Vorwürfe unbeholfen abzuwehren versucht. Als "Ressentiment" weist er die Bezeichnung "Endzeitsekte" entschieden zurück, so als ob die kurzfristige Erwartung von "Harmagedon" - Gottes blutigen Gerichtstages über die Menschheit -- nicht seit mehr als 100 Jahren zum religiösen Markenkern der Zeugen Jehovas gehört. In diesem Zusammenhang darf natürlich auch nicht der wiederholte Hinweis Lönnigs auf ihre Verfolgungsgeschichte im Dritten Reich fehlen. So häufig und penetrant, als stünde ihnen damit heute ein Heiligenschein zu - Halleluja und Hosianna! Am kritischsten zu werten ist dabei seine Berufung auf so erlauchte Fürsprecher wie die Historiker Gabriele Yonan und Gerhard Besier. Beide haben sich mit peinlichen Solidaritätsaktionen für die Scientology Church grandios selbst demontiert und sind daraufhin zurecht in der Versenkung verschwunden. Lönnig will und kann offenbar nicht verstehen, warum sein religiöses Bekenntnis essentiell ist für die Beurteilung seines Falls. Wollen wir uns denn allen Ernstes Biologie und Ursprungsfrage von dem Angehörigen einer Religionsgemeinschaft erklären lassen,
Lönnig ist seit seiner Kindheit bei den Zeugen Jehovas. Es liegt in der Natur solcher exklusiven Gruppierungen, daß kaum jemanden, der darin sozialisiert ist, auch das mentale Instrumentarium vermittelt wird, diesen Glauben kritisch zu hinterfragen. Insofern liegt der erhärtete Verdacht nahe, daß Lönnig seine naturwissenschaftliche Arbeit durch einen entsprechenden religiösen Filter betrachtet, der alles ausblendet, was nicht seinem Weltbild entspricht. Wer will ihm da noch die Versicherung abnehmen, daß sein Eintreten für das ID nicht das Produkt seines religiösen Bekenntnis ist? Gleichwohl erhebt Lönnig den Anspruch, ein seriöser Naturwissenschaftler zu sein. Nun sind Religion und Wissenschaft zwei unterschiedliche Bereiche, die aus guten Gründen voneinander zu trennen sind. Doch würde Lönnig die gleichen rationalen Standards, die gute Wissenschaftler an ihre Arbeit legen, auch auf die Lehren seines Glaubens anwenden, könnte er dann noch guten Gewissens ein Zeuge Jehovas sein? Lönnig fühlt sich als Opfer einer persönlich gegen ihn gerichteten Mobbing-Kampagne. Die maßlosen Methoden des Radikal-Atheisten Ulrich Kutschera, dem führenden Kopf und Initiator der Kampagne, geben diesen Vorwurf eine gewisse Berechtigung. Kutschera hat eindeutig Grenzen überschritten. Mit seinem egomanischen Verhalten hat die Kampagne den unangenehmen Charakter eines Kreuzzugs bekommen. So etwas hinterläßt auch bei der stärksten Persönlichkeit Spuren. Und genau hier dürfte der Schlüssel zum eigentlichen Verständnis von Lönnings Elaborat zu finden sein: sie wirkt wie eine literarische Selbsttherapie zur Traumabewältigung, der es aber an professioneller Begleitung fehlt. Es geht nicht um Wahrheit, sondern Heilung. Dennoch ist Lönnig weniger das unschuldige Opferlamm, das auf dem Altar einer sich als atheistisch verstehenden Naturwissenschaft geschlachtet wurde. Zum "Opfer" wurde er schon als Zeuge Jehovas. Lönnig ist eher eine tragische Figur, die nicht begreift, daß er in einen Kulturkampf hingezogen wurde, bei dem er von vornherein auf verlorenen Posten stand, und zwar von dem Augenblick an als er mit der Publikation seiner ID-Texte ausgerechnet auf dem MPIZ-Server die nötige Angriffsfläche bot. Kein Wissenschaftler kann gleichzeitig auf Reputation bestehen UND den biblischen Schöpfungsmythos mit realer Naturgeschichte gleichsetzen. Nie hatte er in diesem Streit die Chance auf Augenhöhe zu seinen Gegnern gehabt. Nicht weil es die Machtverhältnisse nicht zuließen. Sondern weil all das, wofür er mit seinem kruden Gedankengut steht, weder in der Gesellschaft noch in der Wissenschaft konsens- und diskursfähig sein kann. Was Lönnig letztlich erfahren hat, ist der Ausschluß aus dem seriösen Wissenschaftsbetrieb. Das ist bitter für ihn, doch diesen Angriff hat er - wenn auch unbewußt - selbst provoziert. In gewisser Weise spielt auch die Ironie des Lebens hier hinein. Denn was Lönnig geschehen ist, widerfährt auch solchen Angehörigen seiner Sekte, die ihr aus Zweifeln an den obskuren Lehren den Rücken kehren. Als Strafe für diese "Abtrünnigkeit" droht in der Regel der einem Kontaktverbot gleichkommenden Ausschluß aus der religiösen Gemeinschaft, der sich oftmals wie ein tiefer Riß durch ganze Familien zieht. Was Außenstehende zu Recht als empörende Praxis ablehnen, nennen die Zeugen Jehovas in orwellscher Verdrehung der Begriffe: nicht Mobbing sondern - Liebe! © peacelines (nur Text) Der Rezensent ist weder Mitglied noch dezidierter Anhänger der AG EvoBio Weiterführende Links zum Thema BEYER, A. & JÖRRES, R. (2010) Lönnig, Utricularia und die Philippika eines Unbelehrbaren. Warum die Schriften W.-E. Lönnigs nirgends ein Niveau erreichen, das einen rationalen Dialog ermöglicht. BEYER, A. & NEUKAMM (2007) Kommentar zu W.-E. Lönnigs Seminar an der Universität Witten/Herdecke. Ein Dozent an der Fakultät für Biowissenschaften berichtet. Die Direktoren des MPIZ Köln (2006) Distanzierung! HEMMINGER, H. (2009) Feinde Gottes und der Menschen - Evolutionsbiologie aus der Sicht von W.-E. LÖNNIG. NEUKAMM, M. (2010) Eine unendliche Geschichte: Dr. W.-E. LÖNNIG, Intelligent Design und die Saugfalle der Pflanze Utricularia vulgaris. Die Evolution der karnivoren Pflanzen: Was die Selektion in vielen Einzelschritten zu leisten vermag. |