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Kommentar

Vom Dilemma des Kreationismus

Erdalter, Fossilien und "Kambrische Explosion"


Schöpfung

Im Disput um Evolution - ein kritisches Lehrbuch1) sieht Henrik ULLRICH in der Evolutionskritik eine Herausforderung für die moderne Wissenschaft. Er wird von Ulrich KUTSCHERA zurechtgewiesen, dass diese Art von Evolutionskritik keine Herausforderung für die moderne Biologie darstelle.2) Für den Außenstehenden und mit der komplizierten Materie nicht so Vertrauten wird diese Auseinandersetzung immer undurchschaubarer und zuweilen auch polemischer. Einige wenige schlagende Argumente sind jedoch hinreichend um aufzuzeigen, dass der Kreationismus ein Irrweg ist.

Die kreationistische Studiengemeinschaft WORT & WISSEN geht davon aus, dass aus "biblischen Gründen" (wie sie es darstellt) die Erde nur mehrere tausend Jahre alt sei – und dementsprechend auch Fauna und Flora. Es ist unumstritten, dass z.B. Saurier gelebt haben und plötzlich verschwunden sind. Über die Ursachen gibt es verschiedene Theorien, jedoch ist aufgrund der Erkenntnisse der Paläontologie, die sich mit ausgestorbenen Lebewesen und ihrer Entwicklung im Verlauf der Erdgeschichte befasst - anhand von Fossilien in Gesteinsformationen - für die etablierte Wissenschaft längst Konsens, dass im Erdalter des Tertiärs keine Saurier mehr gelebt haben, und dass dieses Verschwinden der Saurier Voraussetzung ist für die Radiation der Säugetiere.

Der geologische Zeitabschnitt des Tertiärs begann am Ende der Kreidezeit vor 65 Millionen Jahren. Diese langen Zeiträume geologischer Entwicklung muss der Kreationist (genauer gesagt: der Kurzzeit-Kreationist) leugnen, denn er bezieht sich auf eine Schöpfung Gottes oder "Designers" anhand der Bibel, obwohl die Bibel das Erdalter nicht direkt angibt und Kurzzeit-Kreationisten von einer "jungen Erde" mit 6.000 Jahren Existenz ausgehen. Die Mitarbeiter von WORT & WISSEN scheinen das Erdalter nicht genau festlegen zu wollen, denn die neueste Ausgabe von Evolution - ein kritisches Lehrbuch, weiß folgendes zu vermelden:

"Insgesamt ist nach dem gegenwärtigen Wissensstand ein Alter der Erde von nur einigen zehntausend Jahren wissenschaftlich nicht begründbar."3)

Doch egal, welche Zeiträume zugrunde gelegt werden, ist es unbestreitbar, dass Tierarten in der Urzeit ausgestorben sind. Beispiele haben Wissenschaftler in verschiedenen geologischen Epochen gefunden. So lebte im mittleren Eozän vor 49 Millionen Jahren der Gastornis, ein zwei Meter hoher, flugunfähiger Raubvogel. Dieses zu dieser Zeit größte Landwirbeltier Europas existierte ungefähr 18 Mio. Jahre (vom Paleozän bis Eozän, vor 61 Mio. bis 43 Mio. Jahren). Im späten Miozän, vor 41 Mio. bis 35 Mio. Jahren, lebte der 18 Meter lange Basilosaurus, eine ausgestorbene Walgattung, die sich von den heutigen Walarten deutlich unterscheidet. Vor 16 Mio. bis 7,75 Mio. Jahren (oberes Oligozän bis unteres Pliozän) existierten Chalicotherien, pflanzenfresssende Unpaarhufer, die auf den Fingerknöcheln liefen.4) Bekannter sind aber die Namen der ausgestorbenen Tiere der letzten Eiszeit, darunter Mammut, Wollnashorn, Höhlenbär und Riesenhirsch.

Auch jenseits des Tertiärs, in älteren geologischen Schichten, sind zahlreiche ausgestorbene Tiere bekannt. Die Wissenschaft kennt zudem mindestens 5 Massenaussterbeereignisse. Diese werden von den Kreationisten weitgehend ignoriert; man bezieht sich lieber auf die sog. "Kambrische Explosion", die aufgrund des scheinbar unvermittelten Auftauchens eines enormen Artenreichtums auf ein diskretes Schöpfungsereignis schließen lässt und als "Darwins Dilemma" bezeichnet wird.5) Aber auch dieser Prozess entfaltete sich in Abermillionen von Jahren – und damit stellt sich das Dilemma aus kreationistischer Sicht verschärft, wenn nach wortgetreuer Auslegung der Bibel eine "Junge Erde" vorausgesetzt wird.

Gesetzt den Fall, vor 6.000 Jahren wären auf der Erde Pflanzen und Tiere (durch Gottes Wort) erschaffen worden, dann ist vollkommen unklar, warum ein "Schöpfer" seine Geschöpfe einem Massensterben aussetzte und warum ein intelligenter überirdischer Planer es zuließ, dass 99 Prozent aller Arten, die jemals existiert haben, wieder ausgestorben sind. Andererseits wird anhand der Bibel argumentiert, dass die Natur auf einen intelligenten Planer hinweise; zudem wird die Auslöschung der Arten durch die "Sintflut" begründet, die weltweit als singuläres Ereignis angenommen wird, obwohl die Wissenschaft keine Beweise für eine weltumfassende Katastrophe in geschichtlicher Zeit finden konnte, bei der die gesamte Erde mit Wasser bedeckt war. Der schlagendste Beweis gegen die Existenz einer biblischen Sintflut ist die enorme Artenvielfalt von Fauna und Flora. Sie würde es heute nicht geben, wenn sich vor wenigen Tausend Jahren weltweit eine Katastrophe "biblischen Ausmaßes" ereignet hätte. Denn eine Radiation dieses Ausmaßes ist innerhalb nur weniger Jahrtausende nach einem solchen Extinktionsereignis biologisch nicht vorstellbar.

Die heutige Artenvielfalt und die ausgestorbenen Arten, Fossilien in verschiedenen geologischen Epochen belegen also, dass eine Entwicklung von Fauna und Flora der Erde in langen Zeiträumen stattgefunden haben muss. Das stationäre Weltbild der Bibel eignet sich nicht für eine naturwissenschaftliche Betrachtungsweise bzw. Deutung.6)




Fußnoten

[1] JUNKER, R., SCHERER, S. (Hrsg): Evolution - Ein kritisches Lehrbuch, 7. Auflage, 2014.

[2] Naturwissenschaftliche Rundschau, 67 Jg., Heft 7, 2014, S. 357-360.

[3] Evolution - Ein kritische Lehrbuch, S. 238.

[4] Anmerkung: Zwischen dem 28. und 30. Oktober 2014 hat der Fernsehkanal "Phoenix" eine dreiteilige Sendung als Doku ausgestrahlt mit dem Titel "Unterwegs in der Urzeit", Teil 1: Jäger und Gejagte, Teil 2: Land der Giganten, Teil 3: Von Mammuts und Menschen. Es handelt sich um den Zusammenschnitt einer BBC-Sendung 2012 unter dem englischen Originaltitel Walking with Beasts, die von namhaften Wissenschaftlern (Leitung: Nigel PATERSON) in einer aufwändigen Arbeit von 2 Jahren konzipiert wurde. Die deutsche Fassung (Docland 2013) enthält zusätzliche Hinweise am linken unteren Bildrand, in welchem Zeitraum die Tiere gelebt haben, um Missverständnisse auszuräumen, dass es sich um eine Science-Fiktion handeln könnte. Im vorstehenden Bericht wurden einige ausgestorbene Tiere ausgewählt und mit den angegebenen Daten bei Wikipedia verglichen.

Das Filmmaterial entspricht weitgehend dem gegenwärtigen Forschungsstand. Im Verhältnis 1:1 wird man die Vergangenheit nicht vollständig erfassen können, jedoch ist es schon erstaunlich, wie mit modernsten Computeranimationen aufgrund des vorliegenden Datenmaterials ein realistisches Bild über das Leben der Vorfahren der Säugetiere vermittelt wird. Darüber hinaus existieren Videos im Buchhandel, die belegen, welche Arbeit nötig war, um zu diesen eindrucksvollen Ergebnissen zu kommen.

[5] Der US-Geologe Ian DALZIEL (University of Texas in Austin) hat möglicherweise den Schlüssel für den Auslöser der "Kambrischen Explosion" gefunden.

[6] S. hierzu Kommentar: JÄHNIG, W.: Dynamische Denkweise trifft auf statische Denkweise - Eine "Studiengemeinschaft" zieht Bilanz.

Autor: Wolfgang Jähnig


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