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Druck-Version Kommentar Biologismus und kein EndeEin Kommentar zu "Donald Trump und das evolutionäre Denken" von U. KutscheraKürzlich fand in mehr als 600 Städten weltweit der so genannte March for Science statt. Am 22. April 2017 (Tag der Erde) gingen Zehntausende Menschen auf die Straße, um für eine wissenschaftsorientierte Politik zu demonstrieren. Die Demonstranten traten dafür ein, dass sich die politische Meinungsbildung an empirisch gut gesicherten, wissenschaftlichen Erkenntnissen statt an vorrationalen Weltanschauungen und an so genannten "alternativen Fakten" zu orientieren habe. Leider ist das Erreichen dieses Ziels häufig ein frommer Wunsch geblieben. Bild: Ulrich Kutschera, U.Kutschera, CC BY-SA 3.0. Jedoch auch über "alternative Fakten" hinaus werden die Wissenschaften immer wieder unzulässig instrumentalisiert. Vor allem die (Evolutions-) Biologie muss regelmäßig zur Rechtfertigung kruder gesellschaftspolitischer Ansichten herhalten. Unzulässig ist dies deshalb, weil komplexe gesellschaftspolitische Entscheidungen, menschliche Denk- und Verhaltensweisen sowie ethische Standards biologisch unterbestimmt sind. Deren Reduktion auf rein biologische Sachverhalte ist daher ein unangemessener Biologismus. Vergangenes Jahr zeigten wir in einem Kommentar, dass das unreflektierte Projizieren tatsächlicher oder scheinbarer biologischer Sachverhalte auf Fragen der Politik und Gesellschaft sehr problematisch sein kann. Es ging um die unsäglichen Aussagen des AfD-Politikers Björn HÖCKE zu den "Fortpflanzungsstrategien bei Europäern und Schwarzafrikanern".1) Leider bleibt die Versuchung, die eigene Weltanschauung durch zurechtgezimmerte biologische Argumente abzusichern, groß. So plädierte im Juni 2016 Bundesinnenminister Wolfgang SCHÄUBLE für mehr Zuwanderung, mit der Begründung, Europa würde ansonsten durch Inzucht degenerieren. Den biologischen Fachbegriff "Inzucht" hier ins Spiel zu bringen, ist allerdings absurd: Angesichts von 500 Millionen Europäern würde selbst in Jahrhunderttausenden keine genetische Degeneration auftreten. Ein relativ aktuelles, noch weit drastischeres Beispiel für Biologismus stammt aus der Feder des Biologen Prof. Ulrich KUTSCHERA, der kurz vor der Amtseinführung des US-amerikanischen Präsidenten in einem Blog einen Kommentar über selbigen veröffentlichte.2) Der Text ist ein buntes Durcheinander von Politik, Gesellschaft und Evolution, dessen Kernthesen im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen werden sollen. Grundsätzlich beruht jede Form der biologischen Rechtfertigung gesellschaftlicher Normen auf dem naturalistischen Fehlschluss, denn aus biologischen Tatsachen folgt kein gesellschaftspolitischer Imperativ! Und KUTSCHERAs Kommentar ist durchdrungen von der Tendenz, die biologische Fortpflanzung als primäres gesellschaftliches Ziel zu propagieren. Dies geht so weit, dass kinderlosen Politikern offenbar die politische Eignung abgesprochen werden soll. So bedauert er es, dass "in Deutschland Entscheidungen über die Zukunft bzgl. der Zusammensetzung unserer Gesellschaft" von Politikern stammen, "deren Generationen-Abfolge abgebrochen ist (kinderlose Sackgassen der Evolution)." Doch seit wann hängt die Eignung für ein politisches Amt von der Kinderzahl ab? Aus dem biologischen Prinzip der Fortpflanzung folgt eben nicht, dass alle Menschen möglichst viele Kinder in die Welt setzen sollten, geschweige denn, dass nur Eltern in der Lage sind, rationale zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen. Dass sich die Politik nicht über biologische Fakten hinwegsetzen kann und sollte, ist vollkommen richtig. Politik muss auf Fakten reagieren - die Fakten alleine besagen aber nicht, in welcher Weise dies geschehen sollte. So gibt z. B. der Trend bei der Erderwärmung nicht vor, dass diese an sich gut oder schlecht ist bzw. ob sie von der Politik zu fördern oder zu bremsen sei. Auch der Bevölkerungsrückgang in den europäischen Ländern besagt nicht, dass es per se wünschenswert wäre, das Bevölkerungswachstum anzukurbeln. (Es gibt auch sinnvolle Argumente dagegen.) Erst wenn wir die Vor- und Nachteile für uns Menschen (und Umwelt!) gegeneinander abwägen, ist verantwortungsvolles Handeln möglich. Diese Entscheidungen haben aber mit Biologie nur noch am Rande etwas zu tun. Merkwürdig ist auch, dass KUTSCHERA von TRUMP behauptet, "dieser Erfolgsmann" habe eine "prächtige biologische Zukunft” vor sich, da dieser von drei Frauen mehrere Kinder in die Welt gesetzt habe. Was aber meint er mit "biologischer Zukunft"? Jedenfalls hat nicht TRUMP selbst diese Zukunft vor sich. Allenfalls könnte man sagen, dass seine Genvarianten dank seines Kinderreichtums eine geringfügig überdurchschnittliche Chance haben, in den nächsten Generationen im Genpool vertreten zu sein. Das ist recht trivial. Belege dafür, dass kinderreiche Politiker deshalb eine bessere Politik machen als kinderlose, bleibt KUTSCHERA schuldig. KUTSCHERA vertritt im Weiteren die These, es entspräche "… kreationistischem Gutmenschen-Glauben" anzunehmen, "man könne beliebig viele Homo sapiens-Individuen verschiedener ethnischer Herkunft hierzulande vermischen, ohne heftige kulturell-religiöse Konflikte auszulösen." Nun hat das Wort "Kreationismus" eine ganz bestimmte Bedeutung, es bezieht sich auf den unmittelbaren Eingriff eines Schöpfers in Naturvorgänge. In welchem Sinne "kreationistisch" hier verwendet wird, bleibt völlig nebulös und hat mit der Sache nichts zu tun. Der Auseinandersetzung der Evolutionsbiologen mit Kreationisten (im realen Wortsinn) erweist er damit keinen Gefallen. Sollen wir KUTSCHERAs Verweis auf den "kreationistischen Gutmenschen-Glauben" vielleicht so verstehen, dass die "Vermischung" von Menschen unterschiedlicher Kulturen mit Argumenten aus der Evolutionsbiologie abzulehnen wäre? Zudem wäre diese These in dieser Form schlicht unhaltbar: Historisch lässt sich zeigen, dass Europa aus einem Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen hervorgegangen ist; praktisch alle Hochkulturen dieser Welt sind Mischkulturen. Und der rege Austausch zwischen Kulturen und Ethnien schlägt sich auch in genetischer Inhomogenität nieder – geschadet hat er der europäischen Kultur jedenfalls nicht. Es bleibt also die Frage, was um alles in der Welt ein "kreationistischer Gutmenschen-Glaube" sein soll und darüber hinaus, was nach Meinung des Autoren denn dann eine politisch richtige und sachlich fundierte Vorgehensweise wäre? Ebenfalls Unsinn ist es, dass KUTSCHERA für TRUMP den Ausdruck "Alpha-Male" verwendet. Das ist an sich schon ein Biologismus, zumindest eine missglückte Popularisierung. Unter Anthropologen wird der Begriff, auf menschliche Sozialstrukturen bezogen, in der Regel nicht verwendet. Denn ob das Konzept des Alphamännchens von anderen Primaten oder Wolfsrudeln auf den Menschen übertragbar ist, scheint äußerst fraglich. In komplexen menschlichen Sozialstrukturen kommt es jedenfalls nicht nur auf Dominanz und Aggressivität an.3) Fazit: KUTSCHERA schneidet viele, viel zu viele Themen an, die in der Tat gründlich und separat voneinander sachlich-kritisch und faktenbasiert zu diskutieren wären. Die unreflektierte Art, in der hier Biologismen, Fakten, Allgemeinplätze und wertende Aussagen zusammengerührt werden, ist einer produktiven Diskussion nicht förderlich, sondern verhindert sie. Wenn man bedenkt, dass wir uns einst gemeinsam gegen den Kreationismus aufgestellt haben, ist es enttäuschend mit ansehen zu müssen, in welche Richtungen die Diskussion nun zerfasert. Mit der Evolutionstheorie hat die von KUTSCHERA geführte Gender-, TRUMP-, Flüchtlings-, Fortpflanzungs- und Pfefferspraydebatte jedenfalls nicht das Geringste zu tun, und er spricht hier auch nicht für die Evolutionsbiologen in Deutschland. Insofern wäre es wünschenswert, dass der March for Science nicht nur bei Politikern, sondern auch bei so manchen Universitätsprofessoren ein Umdenken herbeiführt: Wissenschaft hat Verantwortung, auch Verantwortung dafür, sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Für die Biologie gilt dies angesichts der deutschen Geschichte in besonderem Maße. Fußnoten [2] Siehe: U. Kutschera in der Huffington Post (Memento). [3] Siehe: The myth of the alpha male. Autor: AG Evolutionsbiologie, gezeichnet: Beniermann, Anna Beyer, Andreas Blume, Michael Hemminger, Hansjörg Kaiser, Peter M. Leinfelder, Reinhold Münzberg, Steffen Nehrke, Nils Neukamm, Martin Öller, Rudolf Roser, Matthias Schneckenburger, Stefan Sikorski, Johannes Zauner, Hans |