pdf-Version

PDF-Version




Buchbesprechung

Kreationismus und Intelligent Design: doch kein Lückenbüßer?

Das stochern in Wissenslücken ist kein Argument gegen Evolution


Schöpfung ohne Schöpfer?

"Schöpfung" oder Intelligent Design (ID) ist für viele Menschen eine attraktive Idee, um die Entstehung der Welt in ihrer ganzen Komplexität zu verstehen. Allerdings ist es eine Schwäche von Schöpfungs-Szenarien, dass sie, im Gegensatz zur Evolutionstheorie, über kein Erklärungsparadigma verfügen. Aus diesem Grund sind ihre Vertreter darauf angewiesen, evolutionäre Erklärungen herunterzuspielen und offene Fragen überzubetonen. Ihre Argumentation ist aber nicht deswegen fehlerhaft, weil sie die Evolutionsbiologen auf noch nicht Erklärtes hinweisen. Sie ist es, weil sie die Erklärungslücken für ein Argument gegen die natürliche Entstehung von Neuem (Makroevolution) oder für eine Widerlegung der DARWIN‘schen Abstammungstheorie halten.1) Umgekehrt versuchen sie, daraus Kapital für das Design-Argument zu schlagen.

Wer eine Theorie [A] aufgrund fehlenden Wissens für fragwürdig erklärt, begeht den Fehlschluss des argumentum ad ignorantiam; lat. für: Argument, das an das Nichtwissen appelliert (WALTON 1999). Der gleiche Fehlschluss liegt vor, wenn das fehlende Wissen eine alternative Theorie [B] plausibel machen soll. Evolutionsgegner bemühen also in doppelter Hinsicht das argumentum ad ignorantiam. Verteidiger der Evolutionstheorie sprechen auch vom god-of-gaps argument oder vom Lückenbüßer-Argument. Die Evolutionsgegner verorten "Gott" in den Lücken der Evolutionstheorie.

Dieser Vorwurf wiegt schwer, weil diese Strategie wissenschaftslogisch fatal ist: Greifen wir einer Erklärung vor, um ein unerforschliches "Etwas" in die Lücke zu stopfen, brauchen wir nicht mehr zu forschen. Das Ziel von Wissenschaft besteht aber gerade darin, Unerklärtes einer differenzierten Erklärung zuzuführen. Hypothesen, die sich auf "Faktoren" wie Magie, Gott oder unspezifische Planer berufen, liefern wertlose All-Erklärungen: Sie sind omniexplanatorisch, das heißt, sie erklären alles und nichts.

Wie aus dem Untertitel ersichtlich, wollen die Autoren des Buchs "Schöpfung ohne Schöpfer?" das Design-Argument in der Biologie gegen Kritik verteidigen. Daher nimmt es nicht wunder, dass sie auch den Lückenbüßer-Vorwurf zurückweisen. Wie dieser Versuch aussieht, wollen wir im ersten Teil unserer Besprechungsreihe erörtern.

Nicht primär Lücken, sondern positives Wissen belege Design

Ein Einwand lautet, der Lückenbüßer-Vorwurf ignoriere die positiven Befunde, die für Design sprächen. Maßgeblich für den Schluss auf Design seien weniger fehlende Erklärungen als belastbare Indizien (positives Wissen):

"Wenn man einen gut gearbeiteten Faustkeil als Artefakt und nicht als Naturprodukt identifiziert, argumentiert man nicht, es gebe Lücken im Verständnis von dessen natürlicher Entstehung, sondern es liegt überhaupt kein belastbarer Grund und damit auch kein Bedarf für eine Hypothese der natürlichen Entstehung des Faustkeils vor. Entsprechend würden wir uns sehr wundern, wenn ein Kriminalkommissar argumentieren würde, dass man trotz klarer Indizienlage für einen Mord keinesfalls einen Täter annehmen müsse ..." (S. 266)

Derlei Vergleiche scheitern aus mehreren Gründen. Fänden wir einen elaborierten Faustkeil, nähmen wir ohne zu zögern eine Fertigung an. Das liegt an unserem Hintergrundwissen über Werkzeuge, Fertigungsmethoden und ihre potenziellen Hersteller. Analoges trifft auf das Mordbeispiel zu: Wir haben hinreichende Kenntnisse über Mordmethoden und Mordwerkzeuge, um an entsprechenden Tatkonstellationen einen Mord zu erkennen.2) In Bezug auf die "Planung" von Lebewesen existiert kein solches Wissen.

Hinzu kommen relevante Unterschiede zu Kunstprodukten: Organismen sind sich selbst organisierende und zugleich evolutionsfähige Mehrgenerationen-Systeme. Weder Faustkeile noch Roboter lassen sich so konstruieren, dass sie über diese Eigenschaften verfügen. Dies ist keineswegs eine nur deskriptive Kategorie, sondern genau der Punkt, der bei Naturgegenständen den Schluss auf Design vereitelt (WASCHKE 2007). Bei Robotern und Faustkeilen ist ein "Design" offensichtlich, bei Naturgegenständen nicht.

Zwar führen die Autoren Design-Indizien an (funktionale Komplexität etc.), aber diese liefern bestenfalls einen Verdacht (Prima-facie-Beweis). Wo Design nicht offensichtlich ist, lässt sich ein solcher Verdacht nicht ohne das Wissen über Design-Methoden und Akteure in einen plausiblen Design-Schluss verwandeln (MAHNER 2018, S. 129).

Wir wollen das Scheitern des positiven Arguments an folgendem Beispiel demonstrieren. Die WORT-UND-WISSEN-Autoren wollen damit zeigen, dass der Schluss auf Design maßgeblich mit Wissen geführt werde statt mit Lücken (S. 268):

Schluss auf Design

Abgesehen davon, dass die dritte Prämisse falsch ist (wir kommen darauf noch zurück), ist dieser Design-Schluss unvollständig (ein so genanntes Enthymem): Er wäre nur plausibel, wenn die erste Prämisse ("Wir wissen, wie man [= Mensch!] mit Design DNA herstellen kann") durch die folgende ergänzt würde:

"Unser Hintergrundwissen (Randbedingungen) spricht für einen menschenähnlichen Urheber, der die DNA erzeugte, wie Menschen sie herstellen."


Anders gesagt, die Autoren müssen zeigen, dass das Wissen, wie Menschen DNA herstellen, für den Design-Schluss in der Natur überhaupt Relevanz hat.3) Eine rein "geistige Verursachung" existiert nämlich nicht - es sei denn, man glaubt an Wunder. Nichts Empirisches spricht für Wunder oder menschenähnliche Planer wie Aliens, die vor 4,2 Mrd. Jahren DNA erzeugten, wie es Menschen tun. Gleiches gilt für die Biologie.

Wir sehen also, dass die Analogie zu menschlichen Artefakten nicht trägt. Das bedeutet, dass die Behauptung, der Design-Schluss werde maßgeblich aufgrund von Wissen gezogen, falsch ist. Er kann nur gegen das Erfahrungswissen gezogen werden, dass Lebewesen zur Selbstorganisation und Evolution fähig sind und Design nicht offensichtlich ist. Daher reichen mögliche Indizien wie "funktionale Komplexität" hier nicht aus, um den Design-Schluss zu ziehen.

"Was bleibt ist dann nur noch das negative Argument, also ein argumentum ad ignorantiam: Wir wissen nicht in allen Einzelheiten, wie sich derartige Systeme ohne planerische Eingriffe entwickeln können. Das ist aber keinesfalls eine Patt-Situation, sondern ein wesensmäßiger Unterschied. Man kennt Mechanismen, die zumindest das Potenzial dazu haben, Neuheiten in der Evolution entstehen lassen zu können." (WASCHKE 2007)

Das Argument ignoriere die Existenz "guter" Lücken

"In manchen Fällen ist der Begriff 'Lücke' gerechtfertigt, in anderen jedoch irreführend. Lennox (2014, 143) schreibt dazu: 'Manche Lücken existieren, weil man noch nicht genug Informationen hat. ... Es gibt aber auch 'gute Lücken' - Lücken, die erst dank der fortschreitenden Wissenschaft sichtbar werden. Die Tatsache, dass die Information, die auf einer bedruckten Seite Papier enthalten ist, nicht durch Physik und Chemie erklärt werden kann, ist keine 'Wissenslücke'." (S. 270)

KOJONEN (2016, S. 98) spricht diesbezüglich von Grenzfragen (limit questions). Das heißt, eine "gute Lücke" liegt vor, wenn limitierende Faktoren (etwa Naturgesetze) einen natürlichen (Entstehungs-) Prozess unterbinden oder unwahrscheinlich machen.

Um LENNOX' Beispiel aufzugreifen: Wir wissen so viel über Schrift, dass wir einem Stück Papier sofort ansehen, ob ein Mensch es beschrieb. Wir wissen ebenfalls, dass durch zufälliges Verspritzen von Tinte kein Text entstünde. Die Physik ist der limitierende Faktor, der die Spontanentstehung von Schriften beliebig unwahrscheinlich macht. Das gilt auch für prähistorische Bauwerke wie Stonehenge (Abb. 1).

Stonehenge

Abb. 1 Die jungsteinzeitliche Megalith-Struktur Stonehenge. Bauwerke dieser Art sind in der menschlichen Zivilisation nichts Ungewöhnliches: Wir wissen aus der Erfahrung, dass Menschen ähnliches hervorbringen. Andererseits deutet nichts auf ein natürliches Arrangement der Steinblöcke hin. Die Annahme, es handele sich um eiszeitliche "Findlinge", die zufällig so zu liegen kamen, wäre zu weit hergeholt: Es liegt somit eine "gute" Erklärungslücke vor. Bildquelle: Erwin Bosman, Stonehenge (213671879), CC0 1.0.

Ein anderes Beispiel sind Perpetua mobile, deren Existenz den Energie-Erhaltungssatz verletzten würde. Die Hauptsätze der Thermodynamik stellen eine natürliche Grenze dar, die Maschinenbauer nicht überwinden können. Folglich ist der Hinweis auf das Fehlen von Perpetua mobile kein Lückenbüßer-Argument.

In Anlehnung an KOJONEN (2016, S. 98) ist der Gebrauch negativer Argumente gegen einen Naturprozess genau dann legitim, wenn sie eine naturgesetzliche Grenze aufzeigen. Gelingt das nicht, liegt ein Lückenbüßer-Argument vor.

Wie betont lassen sich solche Analogien jedoch nicht auf eine Abiogenese oder Evolution von Naturgegenständen übertragen. Erstens spricht nichts für einen "DNA-Programmierer" in der Natur. Zweitens lassen sich bloße Materialumlagerungen wie das Verspritzen von Tinte nicht mit den inhärenten Eigenschaften organischer Moleküle vergleichen. Und drittens existiert bei sich replizierenden Systemen ein Selektionsmechanismus, den es bei den sonst üblichen Materialumlagerungen nicht gibt.

Das bedeutet, wir kennen kein physikochemisches Gesetz, das die Bioevolution und natürliche Entstehung biochemischer Replikatoren entscheidend limitieren oder unterbinden würde. JUNKER & WIDENMEYER (S. 268) geben zwar vor, solche Gesetze zu kennen. Sie behaupten beispielsweise, "chemische Gesetzmäßigkeiten" würden verhindern, dass DNA unter natürlichen Bedingungen de novo entstehe:

Schluss auf Design


Nach EIGEN (1983, S. 76) stehen allerdings nicht Gesetze der Bildung und Selbstorganisation komplexer Biomoleküle im Weg; allenfalls können es die Randbedingungen sein, die eine solche Entwicklung nicht zuließen. Zum Beispiel ist bekannt, dass sich im freien Wasser keine Nukleinsäure-Ketten bilden; letztere unterliegen unumkehrbar dem Zerfall durch Hydrolyse. Reagieren die Bausteine aber auf katalytisch aktiven Oberflächen, im Eis oder tragen aktivierende funktionelle Gruppen, entstehen auch in wässrigem Milieu längere Ketten. Zudem ist das Hydrolyse-Gleichgewicht nicht für "offene" Systeme relevant, in denen ein ständiger Materie- und Energiefluss herrscht. Gleiches gilt für das Problem der konkurrierenden Reaktionspartner, die Kettenabbrüche begünstigen.

Wenn die Autoren auf Experimente verweisen, die ihre Meinung stützen, dann handelt es sich durchweg um geschlossene Systeme, in denen sich thermodynamische Gleichgewichte einstellen und wo eine selektive Anreicherung und Stabilisierung der Bausteine von vornherein unterbleibt. Doch so wenig wir über die historischen Details des Urzustands von Nukleinsäuren wissen, so wenig können wir annehmen, dass sie in solchen Systemen entstanden sind. Wer also vorgibt, "chemische Gesetzmäßigkeiten" zu kennen, die eine natürliche Entstehung und Selbstorganisation von Biomolekülen unterbinden, spiegelt seinen Lesern ein Wissen vor, das er nicht hat. Und darum ist die Unkenntnis historischer Details und das Fehlen von Detailerklärungen eine "schlechte" Lücke.

Der Naturalismus werde ungerechtfertigterweise als Standard gesetzt

Ein weiterer Einwand behauptet, es sei nur sinnvoll von "Lücken" zu sprechen, wenn es gute Gründe für ein Szenario gäbe. Das sei bei der naturalistischen Evolutionstheorie nicht der Fall; eine Erklärung zur Entstehung komplexer Systeme fehle vollständig:

"Der Lückenbüßer-Einwand beruht darauf, dass der Naturalismus ungerechtfertigter Weise als verborgener Standard vorausgesetzt wird. Auf dieser Basis werden fehlende Erklärungen als bloße Lücken klein geredet und die Beweislast einseitig auf Vertreter anderer Positionen verschoben. … so als ob man selbst gar nicht in der Pflicht wäre, zu zeigen, wie durch ausschließlich natürliche Gegebenheiten (hochkomplex organisiertes) Neues entstehen kann." (S. 265)

Zunächst muss die Evolutionsbiologie zeigen, dass eine natürliche Evolution überhaupt stattfindet. Das ist die primäre Beweislast. Sie wäre schon erfüllt, wenn wir nichts über die Mechanismen wüssten, denn zum einen ist die gemeinsame Abstammung der Arten gut belegt. Zum anderen sind Abstammung, erbliche Variabilität, Rassen- und Artbildung beobachtbare Tatsachen. Beide Aspekte sind schon starke Argumente für die Historizität eines natürlichen Evolutionsprozesses. Heute haben wir zudem Mechanismen und Befunde aus der Mutations- und Züchtungsforschung, Molekularbiologie4) usw. vorzuweisen, sodass wir die natürliche Entstehung von Neuem als wohlbegründet voraussetzen dürfen (vgl. VBIO 2011).

Zum Beispiel zeigt die evolutionäre Biotechnologie, wie mithilfe eines Vermehrungs-, Variations- und Selektionsmechanismus (d.h. unter den Vorbedingungen der DARWINschen Bioevolution) selbst aus zufälligen RNA-Sequenzen "sinnvolle" Funktionsmoleküle (neue "Bioinformationen") entstehen (vgl. SCHUSTER 2014, S. 153-162).

Während hier aus methodischen Gründen eine Zielfunktion vorgegeben werden muss, ist dies in der Natur nicht nötig. In ihr werden erst durch die Interaktion des Organismus mit seiner Umgebung geeignete "Ziele" eruiert. Für die Entstehung neuer Funktionsmoleküle bedarf es also keines Planers; die Evolution selbst erweist sich als designfähiger "Lernprozess".

Da wir also die natürliche Entstehung von Neuem im Prinzipiellen erklären können, ist das evolutionäre Rahmenparadigma gut begründet. Es kommt nur noch darauf an, den allgemeinen Erklärungsrahmen mit artspezifischen Details zu füllen.

Nun wird ID kontern, dass nicht-reduzierbar komplexe Neuheiten so nicht erklärbar seien. Selbst wenn das richtig wäre (siehe allerdings KLÖS 2012), hätte das Argument nur Gewicht, wenn plausibel gemacht würde, dass die Evolution von komplex Organisiertem eine natürliche Schranke für die bekannten Mechanismen darstellte. Derlei Versuche sind bisher grandios gescheitert (THORNHILL & USSERY 2000; DRAPER 2002).

Generell gilt: Wer naturalistische Grenzen definiert und damit einen höheren ontologischen Behauptungsanspruch vertritt, trägt die argumentative Stützungslast (KANITSCHEIDER 2000, S. 83).

Wer beispielsweise behauptet, die Konvektionsströme im Erdmantel würden nur die beobachtete Kontinentalverschiebung ("Mikrodrift") erklären, wogegen das Zerbrechen von Kontinenten und das Auffalten von Gebirgen ("Makrodrift") eine transnaturale Komponente erfordere, muss dies zeigen. Nicht, wer eine natürliche Gebirgsgenese annimmt, muss beweisen, dass dies ohne transnaturale Eingriffe möglich ist!

Zum anderen ignorieren die Evolutionsgegner den wissenschaftslogischen Grund, der die Detailerklärung von Komplexem erschwert: Das Problem ist, dass wir die Randbedingungen, die wir für die Erklärung der Entstehung konkreter Artmerkmale benötigen, nicht einfach irgendwo konserviert vorfinden, sondern indirekt rekonstruieren müssen. Aufgrund der Einzigartigkeit und Komplexität der Zusammenhänge sowie aufgrund der Historizität des Prozesses ist das nur bruchstückhaft möglich.

Dass wir insbesondere komplexe Sachverhalte noch nicht detailliert erklären können, liegt also am limitierten Datenbestand - und nicht daran, dass der realhistorische Prozess fragwürdig ist, wie unterstellt wird. Dass trotz dieser hohen erkenntnistheoretischen Hürden die Evolutionsbiologie vielfach plausible Szenarien vorweisen kann, die erklären, wie nicht-reduzierbar komplexe Systeme unter Wahrung von Funktionalität und Adaptivität evolviert sein könnten,5) ist ein Beleg dafür, dass sich das evolutive Rahmenparadigma bewährt. In einigen Fällen lässt sich deren Entstehung sogar empirisch aufzeigen (BEYER 2020).

Im Übrigen lassen die WORT-UND-WISSEN-Autoren unerwähnt, dass sie bereits ihre Ansichten hinsichtlich der Evolution des nicht-reduzierbar komplexen Organellen-Systems der Eukaryoten revidieren mussten. Ursprünglich als "Design-Signal" interpretiert, räumen sie inzwischen ein, dass sich die Datenlage "hin zu einer schrittweisen Entwicklung von Endosymbionten zu Organellen ... verschoben" habe (Details hierzu bei NEUKAMM 2020).

Wäre das "naturalistische Paradigma" degeneriert, wie unterstellt wird, dann wären solche Rekonstruktions-Versuche schon im Ansatz stecken geblieben.

Wie oft also müssen Evolutionstheoretiker ihren Punkt machen - zehnmal oder hundertmal? Da ID ständig neue Beispiele anführt, wird anscheinend erwartet, dass alles erklärt werden muss, bevor Design unplausibel sei. Und hat man einmal einen bestimmten Aspekt erklärt, werden immer raffiniertere Erklärungen verlangt. Das geht so weit, dass die längst obsolete Bedingung einer durchgehenden "Kleinschrittigkeit und Selektierbarkeit" der einzelnen Stadien (S. 96) an die evolutionäre Erklärung gestellt wird.6)

Der Einwand missachte "die Kraft des negativen Aspekts"

"Wenn nun die Erwartungen des Naturalismus nicht erfüllt werden, kann daraus unter Umständen ein Argument für die Schöpfungshypothese gewonnen werden, da sich die beiden Alternativen gegenseitig ausschließen. … Wo systematisch und nach langjähriger Forschung alle Erklärungen versagen, wie die hochspezifische biologische Ordnung durch natürliche Prozesse konkret zustande kommen soll, ist dies bei einem solchen Erkenntnisstand ein Indiz, dass natürliche Prozesse den Ursprung dieser Ordnung nicht (alleine) hervorgebracht haben." (S. 268)

Nehmen wir pro forma an, diese Zustandsbeschreibung des naturalistischen Paradigmas, wäre richtig.7) Dann wäre ID nicht ein Jota plausibler. Zum einen wären Versionen der Evolutionstheorie vorstellbar, an die heutige Forschergenerationen gar nicht denken. Zum anderen wären, selbst wenn alle Evolutionstheorien widerlegt wären, noch immer etliche naturalistische Szenarien denkbar. Und selbst wenn der Naturalismus ausgeschöpft wäre, wäre ID nicht der prädestinierte Theorien-Kandidat.

Denkbar wäre auch der Vitalismus des 19. Jahrhunderts, also eine Art Élan vital oder eine andere Art immaterieller Beeinflussung. Die Annahme solcher Faktoren wäre genauso gut oder schlecht, plausibel oder unplausibel wie Intelligent Design.

Im Übrigen ist die Annahme falsch, es gäbe so etwas wie eine induktive Logik, die es gestatte, anhand der Dauer, die eine Erklärung auf sich warten lässt, auf die Wahrscheinlichkeit zu schließen, dass keine solche Erklärung gefunden wird. So hatte

"… es die Wissenschaft in ihrer Geschichte schon zu oft mit einem 'Lückenbüßer-Supranaturalismus' zu tun. Es bleibt uns daher in den Realwissenschaften nichts Anderes übrig, als mit dem schwachen Naturalismus zu beginnen und ihn auszuschöpfen." (MAHNER 2003, S. 139)

Intelligent Design: ein anderer Erklärungstyp?

"Wer eine Erklärung vom Typ X favorisiert, kann jemandem, der ein durch X unerklärtes Phänomen P mittels einer Konkurrenzerklärung vom Typ Y zu erklären versucht, einen Lückenbüßereinwand entgegenbringen." (S. 269)

Wissenschaftliche Erklärungen haben aber nie die Form eines argumentum ad ignorantiam. Sie schöpfen ihre Erklärungsmacht aus sich selbst. Zudem setzen die Autoren voraus, bei ID handele es sich um einen kognitiv relevanten Erklärungstyp. Dies ist aber nur dort der Fall, wo "Design" als Ursache offensichtlich und als Prozess charakterisierbar ist. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn wir die Reste eines Automobils auf dem Mars fänden. Wo das nicht der Fall ist, benötigen wir die explizite Kenntnis potenzieller Designer und ihrer Mechanismen um beurteilen zu können, ob es sich bei "Design" um eine tragfähige Erklärung handelt. Um es mit MAHNER (2018, S. 122) zu sagen:

"Um den Design-Ansatz glaubhaft zu machen, benötigt man neben Hintergrundwissen über die Absichten des Designers genau wie die Evolutionstheorie spezifische mechanismische Erklärungen als konkrete Modelle, die zeigen, welcher Designer auf welche Weise irreduzibel komplexe Organe geplant und ins Leben gerufen hat."

Nehmen wir an, wir möchten das Zustandekommen eines Steins erklären, bei dem nicht von vornherein klar ist, ob es sich um ein Artefakt handelt. Dann müssen wir die Design-Hypothese mit dem Wissen kombinieren, mit welchen Techniken Menschen Kerngeräte und Abschläge präparieren (Abb. 2). Erst mit diesem Wissen können wir beurteilen, ob die Spezifika des Steins mit den Präparationstechniken erklärbar sind. Würde sich herausstellen, dass dafür Kräfte nötig waren, die Menschen nie schaffen, hätte sich Design erledigt. Das gälte erst recht, wenn der Stein aus dem Tertiär oder vom Merkur stammte.

Experimentelle Archäologie

Abb. 2 Realwissenschaften wie die Archäologie, die in bestimmten Merkmalen von Steinen das Ergebnis von Design erkennt, verweisen auf empirisch nachgewiesene Urheber. Sie spezifizieren deren Wirkmechanismen und überprüfen sie experimentell (hier: experimentelles Schlagen neolithischer Pfeilspitzen). So liefern die Archäologen echte, kausale Erklärungen. Das intelligente Design der Biologie leistet das nicht.

Den wissenschaftlich legitimen Weg, eine Alternative zum Erklärungsparadigma der Evolutionsbiologie anzubieten, kann Intelligent Design nicht beschreiten, weil es dieses Paradigma nicht gibt. Deshalb muss es versuchen, evolutionäre Erklärungen herunterzuspielen. Dies ist exakt die klassische Lückenbüßer-Strategie.

ID setze der Forschung kein Ende, sondern setze sie voraus

"Das 'Lückenbüßer'-Argument verhindert oft eine Diskussion auf der Sachebene, etwa wenn unterstellt wird, man plädiere für ein Ende der Forschung, wenn ein Phänomen unverstanden ist, und sage einfach, Gott habe es bewirkt." (S. 264)

Das sei falsch, weil der Design-Ansatz selber auf Forschung angewiesen sei, um die Grenzen naturwissenschaftlicher Erklärbarkeit auszuloten.

Das Problem dieser Argumentation ist jedoch erstens, dass die Forschung den ID-Ansatz gar nicht weiterbringt. Fehlende Erklärungen deuten (mangels Kenntnis einer naturgesetzlichen Limitierung) weder auf eine prinzipielle Erklärungsgrenze hin, noch sind sie (mangels positiver Komponente) ein Argument für Design.

Zweitens bringen ID-Advokaten ihren Planer ins Spiel, lange bevor die Wissenschaft den Naturalismus ausschöpfen konnte. Die erwähnte Revision der Meinung von WORT UND WISSEN zur Evolvierbarkeit des Organellensystems der Eukaryoten belegt dies exemplarisch. (Weitere Rückzugsgefechte der Kreationisten dokumentiert PEITZ 2013). Trotzdem postulieren sie weiter unverdrossen die Notwendigkeit planerischer Eingriffe in ähnlich gelagerten Fällen. Darum hat HAUGHT (2004, S. 238) recht, der bemerkt:

"Intelligent Design ist ein 'Wissenschafts-Stopper', da es bereits zu einem Zeitpunkt eine Lückenbüßer-Erklärung anbietet, wo in der Forschung noch genügend Raum für weitere wissenschaftliche Erklärungen besteht." (ins Deutsche M.N.)

Drittens ist augenfällig, dass sich die ID-Advokaten gar nicht an der Suche nach Erklärungen beteiligen. Ihre "Forschung" erschöpft sich in der Schilderung von Beispielen nicht-reduzierbarer Komplexität und im Durchforsten wissenschaftlicher Literatur in der Hoffnung, sie als "Argumente" gegen Evolution einsetzen zu können. Der Grund kann nur sein, dass man a priori glaubt, es gäbe keine natürliche Erklärung, oder dass man sie als irrelevant für den Forschungsgegenstand betrachtet. Dann aber ist die Behauptung, man sei ergebnisoffen und an Erklärungen interessiert, nur ein Verwirrspiel.

Mit erfrischender dogmatischer Ehrlichkeit bestätigt dies der ID-Advokat Todd WOOD (2010). Dieser räumt ein, dass er keinerlei Interesse an der Erforschung der Ursprungsfrage verspüre - und schon gar nicht an natürlichen Erklärungen:

"Das ist der Grund, weshalb ich mich für die Entstehung des Lebens nicht interessiere (und warum ich wahrscheinlich nie Meyer's Buch zu Ende lesen werde). Ich weiß ja bereits, woher das Leben stammt. Ich schlage das Buch Genesis auf, und die Bibel teilt mir genau mit, woher das Leben stammt. Darüber zu spekulieren, wie es in einem naturalistischen Szenario entstanden sein könne, ist für mich reine Zeitverschwendung." (ins Deutsche M.N.)8)

Die These, ID sei ein Hemmschuh der Wissenschaft, hat also dort seine Berechtigung, wo sich aufgrund von Glaubensvorstellungen der ID-Advokaten Konflikte auf der faktischen oder erklärenden Ebene anbahnen.

Besonders prekär ist dies für junge, hochaktive Forschungsprogramme wie Evo-Devo oder das Standardmodell der Kosmologie. Wir sind noch nicht recht dabei, die Forschungsfelder abzustecken, schon ist ID mit seinem Passepartout einer Schöpfungserklärung zur Stelle. Wer schon jetzt einen Schöpfer einschiebt, um einem naturwissenschaftlichen Ergebnis vorzugreifen, begeht klar ein argumentum ad ignorantiam.

Zusammenfassung

Den WORT-UND-WISSEN-Autoren gelingt es nicht, den Lückenbüßer-Vorwurf zu entkräften. Zum einen spricht kein positives Wissen für einen "Planer" von Naturgegenständen. Daher bleibt nur das argumentum ad ignorantiam: Wir wissen nicht in allen Einzelheiten, wie sich Biosysteme ohne Planung entwickelt haben könnten. Dieser "negative" Aspekt ist aber so lange kein Argument gegen Evolution, bis es den Autoren gelingt, eine naturgesetzliche Grenze aufzuzeigen. Schließlich kennen wir Mechanismen, die zumindest das Potenzial haben, Neuheiten in der Evolution entstehen zu lassen.

Zum anderen ist das naturalistische Paradigma keineswegs gescheitert, wie die Autoren behaupten. Sie ignorieren schlicht das empirische Fundament, das es untermauert. Und selbst, wenn es dieses Fundament nicht gäbe, hätte die Forschung den Naturalismus längst nicht ausgeschöpft. Wer schon zum jetzigen Zeitpunkt natürlichen Erklärungen vorgreift, um einen Planer einzuschieben, begeht daher ein argumentum ad ignorantiam - auch deshalb, weil ID längst nicht die einzige nicht-naturalistische Alternative wäre.

Im Übrigen ignorieren die Autoren das Problem, dass ihre Schöpfungsthese allerklärend (omniexplanatorisch) ist. Den wissenschaftlich legitimen Weg, eine Alternative zum Erklärungsparadigma der Evolutionsbiologie anzubieten, kann ID nicht beschreiten, weil es dieses Paradigma nicht gibt. Deshalb muss es versuchen, evolutionäre Erklärungen herunterzuspielen. Dies ist nichts anderes als eine Form des Lückenbüßer-Arguments.

Literatur

BEYER, A. (2020) T-urf13 revisited: Ein intelligent designtes Protein - ohne Designer. Über die zufällige Entstehung einer nicht reduzierbar komplexen Struktur.

BURDA, H. & BEGALL, S. (2013) Evolution. Ein Lese-Lehrbuch, 2. Auflage. Springer.

EIGEN, M. (1983) Entstehung des Lebens. Ein Ereignis zwischen naturgesetzlichem Zwang und historischer Einzigartigkeit. Natur 2, S. 68-77.

HAUGHT, J. F. (2004) Darwin, design, and divine providence. In: DEMBSKI, W. A. & RUSE, M. (Hg.) Debating design. From Darwin to DNA. Cambridge, S. 229-244.

DRAPER, P. (2002) Irreducible complexity and Darwinian Gradualism. A reply to Michael J. Behe. Faith and Philosophy 22, S. 3-21.

KANITSCHEIDER, B. (2000) Streitgespräch über Wissenschaft und Religion. Spektrum der Wissenschaft 6, S. 82-85.

KLÖS, T. (2012) Komplexitätszunahme in einer molekularen Maschine.

KOJONEN, E. R. V. (2016) The Intelligent Design debate and the temptation of scientism. Routledge.

LORENZEN, S. (1988) Die Bedeutung synergetischer Modelle für das Verständnis der Makroevolution. Eclogae Geologicae Helveticae 81, S. 927- 933.

MAHNER, M. (2003) Naturalismus und Wissenschaft. Skeptiker 16, S. 137-139.

MAHNER, M. (2018) Naturalismus. Die Metaphysik der Wissenschaft. Alibri-Verlag.

MILLER, K. R. (1999) The evolution of vertebrate blood clotting.

MOSBRUGGER, V. (1989) Gibt es sprunghafte Evolution? Formen und Mechanismen der transspezifischen Evolution bei Pflanzen. Biologie in unserer Zeit 19, S. 1-8.

NEUKAMM, M. & BEYER, A. (2011) Die Endosymbiontentheorie. Allgemeine Grundlagen, Fakten, Kritik.

NEUKAMM, M. (2020) Evolution und das Design-Argument in der Biologie.

OSTERAUER, R. et al. (2010) Turning snails into slugs: induced body plan changes and formation of an internal shell. Evolution & Development 12, S. 474-483.

PEITZ, H.-H. (2013) Kreationistische Rückzugsgefechte.

SHAO, X.; SHEPELEV, V. & FEDOROV, A. (2006) Bioinformatic analysis of exon repetition, exon scrambling and trans-splicing in humans. Bioinformatics 22, S. 692-698.

SCHUSTER, P. (2014) Evolution der Moleküle. Von der Evolution im Reagenzglas zur Er-zeugung maßgeschneiderter Moleküle. In: NEUKAMM, M. (Hg.) Darwin heute. Wis-senschaftliche Buchgesellschaft, S. 133-170.

SIKORSKI, J. (2009) Die bakterielle Flagelle. Stand der Forschung zu molekularem Auf-bau, Diversität und Evolution. In: NEUKAMM, M. (Hg.) Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus. Vandenhoeck & Ruprecht, S. 262-301.

THORNHILL & USSERY (2000) A classification of possible routes of Darwinian evolution. Journal of Theoretical Biology 203, S. 111-116.

VBIO (2011) Die Entstehung neuer Enzyme - oft verblüffend einfach.

WALTON, D. (1999) The appeal to ignorance, or argumentum ad ignorantiam. Argumentation 13, S. 367-377.

WASCHKE, T. (2007) Warum Intelligent Design (ID) im Bereich der Naturwissenschaften derzeit keine Existenzberechtigung hat.

WOOD, T. (2010) Is design an inference?




Fußnoten


[1] Sie übersehen, dass Evolutionsbelege logisch unabhängig von jenen Theorien sind, die sich mit den Ursachen und Mechanismen der Evolution beschäftigen. Fehlende Erklärungen stellen weder den Prozess infrage noch sprechen sie für nichtnatürliche Ursachen.

[2] Im Übrigen würde kein vernünftiger Kriminalermittler nicht-spezifizierte Faktoren oder gar Übernatürliches als Mordursachen gelten lassen.

[3] Dasselbe gilt für die Abiogenese; die Forschung hat Synthesewege unter präbiotisch plausiblen Randbedingungen vorzuweisen.

[4] Der modulare Bau der Proteine und die abgestufte Ähnlichkeit der Gene passen exakt zum naturalistischen Entstehungs-Szenario, wonach Mechanismen wie Gen-Duplikation mit anschließender Diversifizierung diese Gene erzeugt haben. Wäre deren Entstehung nicht natürlich erfolgt, gäbe es nämlich keinen Grund, warum es überhaupt orthologe und paraloge Gene geben sollte. Denn es gibt unendlich viele, beliebig verschiedene Proteine, die dieselbe Funktion erfüllen. Besonders aufschlussreich sind Gene mit tandemartig wiederholten ("repetierten") Exons: Dort sind die kodierenden Bereiche mehrfach und in ihrer Sequenz leicht abgewandelt hintereinandergeschaltet. Ihre Struktur lässt den Entstehungsprozess (Tandem-Exon-Duplikation mit anschließender Diversifizierung) noch erkennen (SHAO et al. 2006).

[5] Beispiele bei MILLER (1999); NEUKAMM & BEYER (2011); KLÖS (2012); BURDA & BEGALL (2013, S. 288).

[6] Diese Forderung ist schon deshalb unerfüllbar, weil genetisch bedingte Änderungen ontogenetisch sehr groß sein können (LORENZEN 1988; MOSBRUGGER 1989; OSTERAUER et al. 2010). Zudem verbreiten sich evolutive Veränderungen häufig durch Drift. Folglich unterliegen evolutive Zwischenstadien oft gar keiner Selektion oder erweisen sich sogar als schwach nachteilig. Solche Formen verschwinden nicht nur nicht, sondern können Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen sein (SIKORSKI 2009, S. 289). Das Festhalten am Kleinschrittigen und Selektierbaren dient also offenbar dazu, die Erklärungsmacht der Evolutionstheorie herunterzuspielen. Es verdeckt, dass die moderne Theorie längst über das darwinistisch-gradualistische Denken hinausgelangt ist.

[7] Tatsächlich wird die Absurdität dieser kontrafaktischen Zustandsbeschreibung nur durch krasses Verschweigen oder Herunterspielen des enormen Wissensfortschritts in den Erklärungen verdeckt.

[8] WOOD schreibt wörtlich: "That's why I don't care about the origin of life (and why I'll probably never finish reading Meyer's book). I already know where life came from. I open the book of Genesis, and the Bible tells me exactly where life came from. Speculating on how it might have happened in a naturalistic scenario seems like a waste of time to me."


Autor: Martin Neukamm


Auf Facebook teilen Auf Twitter teilen

Copyright: AG Evolutionsbiologie