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PDF-Version Neues aus der Forschung Die Geheimnisse von LUCA entschlüsseltWann existierte der letzte gemeinsame Vorfahr aller heutigen Lebesformen?Neueste Forschungsergebnisse legen nahe: Alles, was auf Erden kreucht und fleucht, stammt von einem Einzeller ab, der vor 4,2 Milliarden Jahren lebte, nur wenige hundert Millionen Jahre nach der Entstehung der Erde. Und diese letzte gemeinsame Stammform aller heute existierenden Arten, die Biologen LUCA tauften (das Akronym für den englischen Ausdruck last universal common ancestor), unterschied sich gar nicht so sehr von heutigen Bakterien. Zudem lebte sie in einem Ökosystem, in dem es von anderen Lebensformen und Viren nur so wimmelte. Geht man davon aus, dass es vor 4,4 Mrd. Jahren erstmals flüssiges Wasser auf der Erde gab, vollzog sich die Lebensentstehung innerhalb eines verblüffend kurzen geologischen Zeitintervalls von vielleicht 150 Millionen Jahren. Titelbild: Der Stammbaum des Lebens: Von LUCA bis "Lucy". Quelle: Jean-Pierre DALBÉRA, "Espèces, la maille du vivant (Musée des Confluences, Lyon)", flickr.com/photos/dalbera/23676386610, CC BY 2.0. Es liegt in der Natur der Sache, dass es sehr schwierig ist, die Merkmale, das Alter und das Ökosystem des letzten universellen gemeinsamen Vorfahrens aller zellulären Lebensformen (LUCA) zu bestimmen, da er vor langer Zeit ausgestorben ist. Altersschätzungen für LUCA basieren in der Regel auf dem Nachweis potenzieller Mikrofossilien, die schwierig zu interpretieren sind. In früheren Studien schätzten Wissenschaftler, dass LUCA vor knapp vier Milliarden Jahren lebte. Nun haben Forscher versucht, den Ursprung von LUCA genauer zu bestimmen (MOODY et al. 2024). Ein internationales Team um den Paläobiologen Philip DONOGHUE von der Universität Bristol verglich dazu die Gene von 700 lebenden Bakterien- und Archaeen-Arten. Archaeen sind bakterienähnliche Mikroben, die oft in extremen Umgebungen leben. Die Wissenschaftler wählten Organismen aus diesen beiden Domänen aus, weil sie zu den ursprünglichsten Lebensformen gehören und weil die Trennung von Bakterien und Archaeen die älteste erhaltene Aufspaltung im Stammbaum der heute noch existierenden Lebewesen ist. Anschließend zählten die Forscher die Mutationen, die im Laufe der Zeit im gesamten Genom und in 57 Genen aufgetreten sind, die allen 700 Organismen gemeinsam sind. Mithilfe der geschätzten Mutationsraten berechneten sie daraus, wann LUCA lebte. Um das Fehlerintervall ihrer Schätzung zu verringern, glichen die Forscher ihre Mutationsrate mit Fossilienaufzeichnungen bekannten Alters ab. Durch diese flankierende Maßnahme erhöhte sich die Ganggenauigkeit ihrer "molekularen Uhr" erheblich. Die Forscher gelangten zu dem Ergebnis, dass LUCA vor 4,2 ± 0,1 Milliarden Jahren gelebt haben muss, also bereits grob 300 Millionen Jahre nach der Entstehung der Erde ins Rampenlicht trat. "Wir hatten nicht erwartet, dass LUCA so alt sein würde, nur wenige hundert Millionen Jahre nach der Entstehung der Erde", bemerkt Koautorin Sandra ÁLVAREZ-CARRETERO, Forschungsstipendiatin am UCL in Großbritannien. Überrascht zeigten sich die Autoren auch von der genetischen Komplexität von LUCA. Um dessen Genomgröße und die Anzahl der kodierten Proteinfamilien zu ermitteln, erarbeiteten die Forscher ein wahrscheinlichkeitstheoretisches Prognose-Modell. Als Trainingsdaten zogen sie die Genome moderner Prokaryoten (Bakterien und Archaeen) heran. Ihr Modell berücksichtigt, welche Gene sowohl in Archaeen als auch in Bakterien vorkommen und ermittelt aus der Teilmenge, welche Gene wahrscheinlich in LUCA vorkamen. Das Modell diente auch als Grundlage der metabolischen Rekonstruktion. Der Rekonstruktionsansatz weist LUCA viel mehr (nämlich 2.657) Gene zu als frühere Analysen und führt somit zu einer Schätzung der Genomgröße, die in der Größenordnung moderner Prokaryoten liegt. Damit unterschied sich LUCA bereits deutlich von einem Progenoten, in dem sich der Unterschied zwischen Genotyp und Phänotyp erst noch entwickelte. Damals im Hadaikum, vor 4,6 bis 4,0 Milliarden Jahren, war die Erde ein unwirtlicher Ort mit heißen Ozeanen und faktisch ohne atmosphärischen Sauerstoff. Durch Sortierung der Gene nach ihrer zellulären Funktion konnten die Forschenden auch Aussagen darüber treffen, wie und wo LUCA lebte und wovon sich der Einzeller ernährte. Ihre Analysen konnten nicht den genauen Lebensraum von LUCA bestimmen, lassen aber vermuten, dass LUCA extreme Temperaturen ertrug und in einer marinen Umgebung, in einem flachen hydrothermalen Schlot oder in einer heißen Quelle lebte. Der abgeleitete Genbestand lässt darauf schließen, dass LUCA Acetogenese betrieb, eine spezielle Form der sauerstofffreien (anaeroben) Atmung.1) Bei diesem uralten Stoffwechselweg wird Wasserstoff durch Kohlendioxid (anstatt, wie bei der aeroben Atmung, durch Sauerstoff) oxidiert, wobei sich Essigsäure bildet. Dabei wird die zum Wachstum nötige Energie frei und zur Kohlenstofffixierung genutzt. Diese Form der Atmung ist energetisch noch sehr ineffizient, aber sie funktioniert. Wasserstoff entweicht noch heute in großen Mengen aus hydrothermalen Schloten. Die Rekonstruktion der Stoffwechselwege von LUCA zeigt auch, dass LUCA nicht allein existierte. Es deutet einiges darauf hin, dass LUCA organisches Material, das bereits von anderen Mikroben abgebaut wurde, zur Energiegewinnung genutzt haben könnte. Ein weiterer Hinweis ist das überraschende Ergebnis, dass LUCA bereits mit Genen ausgestattet war, die bei der Abwehr von infektiösen Viren helfen können. Die Tatsache, dass LUCA schon damals in einem florierenden Ökosystem lebte, Leben sich also vergleichsweise rasch entwickeln konnte, hat interessante Implikationen für das Leben auf anderen Planeten, so der Hauptautor der Studie. "Dies deutet darauf hin, dass Leben auf erdähnlichen Biosphären auch anderswo im Universum gedeihen könnte", so DONOGHUE. Literatur MOODY, E.R.R.; ÁLVAREZ-CARRETERO, S.; MAHENDRARAJAH, T.A. et al. (2024) The nature of the last universal common ancestor and its impact on the early Earth system. Nature Ecology & Evolution 8, 1654–1666. Fußnoten [1] So kodierte die Mikrobe für verschiedene Untereinheiten von [NiFe]-Hydrogenasen. [NiFe]-Hydrogenasen sind Enzyme, welche die scheinbar einfache Spaltung von Wasserstoff in zwei Elektronen und zwei Protonen bewerkstelligen. Die Produkte können verwendet werden, um der Zelle Energie in Form von ATP und Reduktionsäquivalente wie NADH bereitzustellen. Autor: Martin Neukamm |