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Diskussionsbeitrag

Proteine in Dinosaurier-Knochen und der Kreationismus

Warum organische Reste in Fossilien nicht an der geologischen Zeitskala rütteln


Tyrannosaurus rex - geologische Zeitmessung und Proteine

Ein bekanntes Argumentationsmuster von Kreationisten ist die Überbetonung unerwarteter Befunde, die mit ihrem Dogma einer vor 6-10.000 Jahre erschaffenen Erde in Einklang gestellt werden könnten. Üblicherweise unterziehen Wissenschaftler jede Hypothese einer Plausibilitätsprüfung, wonach sie sich fragen: "Passen meine Annahmen ins Gesamtbild des in sich stimmigen Theoriennetzwerks der Naturwissenschaften?" Dagegen tendieren die Kreationisten dazu, das von den Wissenschaften vermittelte Gesamtbild in Frage zu stellen, um ihr Dogma zu retten. Sie verstoßen gegen die wissenschaftliche Bedingung der äußeren Widerspruchsfreiheit (Prinzip der Kohärenz, VOLLMER 1995). Gegen erdrückende Belege halten sie an Positionen fest, die niemand akzeptieren würde, der sich nicht von vornherein für sie entschied.1)

Organische Reste in Fossilien sollen eine "junge" Erde bezeugen

Ein Beispiel aus der Reihe "Gibt es empirische Hinweise für eine junge Erde?" ist ein Beitrag von H. BINDER über gut erhaltene Proteine in Dinosaurier-Knochen (BINDER 2007). Der Autor berichtet über den Fund von Kollagen in kreidezeitlichen Fossilien. Er erklärt, dass die organischen Reste nach dieser enorm langen Zeitspanne längst hätten zerfallen sein müssen. Laut Expertenmeinung sollte nach einer Zeitspanne von "deutlich unter einer Million Jahre" kein Polypeptid mehr nachweisbar sein.

Vor 20 Jahren veröffentlichte ein Forscherteam um die Paläontologin Mary SCHWEITZER erstmals Hinweise, dass Proteine wie Kollagen und Gewebereste wie Blutgefäße aus der Kreidezeit fragmentarisch erhalten sind (SCHWEITZER et al. 2005). Die Beispiele mehrten sich, immer mehr Wissenschaftler veröffentlichten den Fund von Protein- und DNA-Fragmenten, Zellen und Weichgewebe, jüngst etwa BAILLEUL et al. (2020). Auch BINDER hat seine Argumentation im Jahr 2020 neu aufgelegt. Allerdings enthält dieses sogenannte "Special Paper" (BINDER 2020) kaum neue Argumente.

BINDER gelangt zu dem atemberaubenden Schluss, die vorgestellten Befunde stünden "im Widerspruch zu den konventionellen Altersangaben der Fossilien". So erklärt er am Ende seiner Ausführungen:

"Derzeit kann jedenfalls die zeitliche Zuordnung der geologischen Systeme aufgrund der Diskrepanz zwischen etablierten Erfahrungen aus der Proteinchemie und der behaupteten extremen Stabilität von Proteinen in Fossilien beim gegenwärtigen Kenntnisstand begründet in Frage gestellt werden." (BINDER 2007)

Der Zerfall organischer Materie ist als Zeitanzeiger ungeeignet

Im Klartext, BINDER plädiert für die Anerkennung einer nur wenige tausend Jahre alte Erde!2) Was er dabei ignoriert: Der Abbau von Proteinen und Weichgewebe ist als Zeitmaßstab gänzlich ungeeignet. Dessen Geschwindigkeit hängt nämlich extrem von den individuellen Lagerungsbedingungen und von der Konstitution der betreffenden Biomoleküle ab. Sie kann daher enormen Schwankungen unterliegen. Zum Beispiel ist der Abbau von Proteinen, die mit Mineralien wie Knochen-Apatit assoziiert sind, in kalter Umgebung derart verlangsamt, dass eine Langzeitkonservierung möglich erscheint (COLLINS et al. 2000; NIELSEN-MARSH 2002; DEMARCHI et al. 2016).

Eigentlich ist diese Erkenntnis banal. Jedem ist geläufig, dass sich Nahrung im Kühlschrank länger hält als in der Wärme und gepökeltes Trockenfleisch haltbarer ist als ein rohes Steak. Temperatur, Verfügbarkeit von Sauerstoff, Wassergehalt und die Matrix (die Substanz, in der Biomoleküle eingebettet werden) beeinflussen die physikochemische Abbaurate drastisch. Trocknung, Kälte, Mineralien und der Einschluss in geeignete Sedimente können die Stabilität von Proteinen enorm erhöhen.

Das ist der Grund, weshalb sich Altersbestimmungen üblicherweise auf radioaktive Isotope stützen, deren Halbwertszeit von den Umgebungsbedingungen unabhängig ist. Daher kann der Erhaltungsgrad organischer Reste nicht als Referenzmethode zum Test konventioneller Altersbestimmungen dienen, die ein stimmiges Gesamtbild liefern.

Neuere Befunde zur möglichen Langzeitstabilisierung

Vor einiger Zeit haben BOATMAN et al. (2019) gezeigt, dass Eisen- und andere Übergangsmetall-Ionen eine Verzuckerung (Glykation) von Biopolymeren katalysieren. Dabei bilden die organischen Materialien mit oxidativ geschädigten Kohlenhydraten oder Lipiden intermolekulare Quervernetzungen, die den Abbau in postmortaler Umgebung unterbinden (ANDERSON 2023). Die Autoren betonen, dass auch die Adsorption an die mineralisierten Komponenten des Knochens, die Einlagerung von proteinhaltigen Komponenten in mineralisiertem Gewebe, mit zu der außergewöhnlichen Konservierung der organischen Materialien beiträgt:

"Wir haben gezeigt, dass die Taphonomie (Fossilisationslehre) Mechanismen zur Stabilisierung endogener Weichgewebe bereitstellt, die zuvor als wenig plausibel galten. Diese Mechanismen stabilisieren die Molekülbestandteile in einem Maß, das Aufschluss über evolutionäre Beziehungen geben kann und es gestattet, anhand der Chemie der Langzeitkonservierung auf bestimmte Aspekte der unmittelbaren Zerfallsumgebung zu schließen." (BOATMAN et al. 2019, ins Deutsche MN)

Auch die so genannten Fenton-Reaktionen bieten plausible Mechanismen zur Erhaltung von Blutgefäßen und Zellen (SCHWEITZER et al. 2014; SURMIK et al. 2016; WIEMANN et al. 2018; BOATMAN et al. 2019; SENTER 2022). So begünstigt redoxaktives Eisen den Abbau von zellulären Hydroperoxiden. Dabei entstehen freie Radikale, die benachbarte Biomoleküle wie Kollagen miteinander vernetzen und vor zersetzenden Einflüssen schützen. Das Eisen schützt Proteine auch durch antimikrobielle Wirkung und dadurch, dass sie Stellen blockieren, die von Abbauenzymen erkannt werden.

ULLMANN et al. (2021) wiesen nach, dass das von SCHWEITZER et al. (2005) beschriebene Tyrannosaurus-Exemplar in brackigem Wasser verweste. Feinkörniger Sand bedeckte den Kadaver, weswegen die Knochen rasch zementierten. Die Verwesung erfolgte unter oxidierenden Bedingungen, die Fenton-Reaktionen begünstigten. Auch bei anderen Knochen, die Proteine enthielten, zeigte sich, dass sie in schnell zementierenden Sedimenten unter oxidierenden Bedingungen fossilisierten. Das spricht stark dafür, dass solche Bedingungen für die molekulare Langzeitkonservierung essentiell sind.

SCHWEITZER et al. (2014) demonstrierten, dass der Abbau des Blutfarbstoffs Hämoglobin Fenton-Reaktionen auslösen kann, die zum langfristigen Erhalt von Gewebe beitragen. Dazu extrahierten sie Blutgefäße aus Straußenknochen und legten sie in eine Hämoglobinlösung. Die Kontrollproben wurden in Wasser oder phosphatgepufferte Kochsalzlösung gelegt. Die Kontrollproben waren nach wenigen Wochen fast völlig zersetzt und mikrobiell kontaminiert. Die mit Eisenhydroxid infundierten Versuchsproben hingegen waren noch nach Jahren intakt und frei von mikrobieller Invasion.

Dass solche Mechanismen bei taphonomischen Prozessen von Bedeutung sind, wird auch durch Berichte über die Präsenz von Eisenoxiden wie Goethit im Weichgewebe fossiler Wirbeltiere gestützt (KAYE et al. 2008; SCHWEITZER et al. 2014; CADENA 2016; SURMIK et al. 2016; BOATMAN et al. 2019; CADENA 2020). Die organischen Reste in fossilen Knochen tragen zudem eindeutig chemische Signaturen von Fenton-Reaktionen (SURMIK et al. 2016; WIEMANN et al. 2018; BOATMAN et al. 2019; SENTER 2022).

Aufschlussreich ist, dass gerade kollagenhaltiges Gewebe (Kollagen ist auch Faserbestandteil von Blutgefäßen) oft über Jahrmillionen stabil geblieben ist. Ein Grund hierfür liegt in der besonderen Struktur des Kollagens. Charakteristisch für Kollagene sind drei schraubenartig gewundene Polypeptidketten, die wie die zusammengedrehten Fasern eines Seils zu einer Superhelix verdrillt sind (s. Abb. 1).

Dreifachhelix von Kollagen

Abb. 1 Aufbau des Kollagens. Das Faserprotein besteht aus drei schraubenartig gewundenen Kettenmolekülen (Helices), die zu einer Superhelix verdrillt sind. Mehrere dieser Superstrukturen lagern sich wiederum zu Fibrillen zusammen, die einen Durchmesser von einem halben Mikrometer erreichen können. Praktisch jede dritte Aminosäure in den Polypeptidketten ist übrigens Glycin. Nur ihr Wasserstoffrest ist klein genug, um die Bildung der Superhelix nicht zu stören. Auch der hohe Anteil der Aminosäure Prolin trägt zur einzigartigen Superstruktur des Kollagens bei.

Ein Forscherteam zeigte kürzlich experimentell und rechnerisch, dass die Superhelix das Protein vor dem zersetzenden Einfluss des Wassers schützt (YANG et al. 2024).

Danach trägt zur außergewöhnlichen Stabilität des Kollagens die besondere räumliche Anordnung der Peptidbindungen in den Superstrukturen bei. Diese ist solcherart, dass spezielle Wechselwirkungen im Kettenmolekül die Peptidbindung vor einem Angriff durch Wassermoleküle abschirmen (s. Abb. 2). Besonders vulnerablere Peptidbindungen, wie die zwischen Glycin und benachbarten Aminosäuren, werden zudem durch die Superhelix gegenüber Wassermolekülen räumlich abgeschirmt.

Schematische Darstellung des Wasserschutzschildes

Abb. 2 Schematische Darstellung des "Wasserschutzschildes". Links: Das freie Elektronenpaar am Sauerstoffatom einer Peptidbindung (symbolisiert durch zwei Punkte) interagiert elektronisch mit der benachbarten Carbonylgruppe (grüner Pfeil). Es besetzt ihr anti-bindendes Pi-Orbital und verhindert aufgrund eines quantenmechanischen Effekts, dass ein nukleophiler Angriff durch Wassermoleküle erfolgen kann (Pauli-Verbot). Rechts (A): Räumliche Anordnung der Atome in der Superhelix. Vulnerablere Peptidbindungen (orangefarbene Kugeln) liegen innerhalb der Superstruktur und werden so vom Wasser abgeschottet. Rechts (B): Elektronische Wechselwirkungen im "Wasserschutzschild" sind gestrichelt dargestellt. Quelle: © YANG et al. (2024), beide Bilder zusammengefügt, CC BY 4.0. Grafik zum Vergrößern anklicken.

Diese schützende Konfiguration wurde auch in den Helix-Strukturen anderer Proteine beobachtet. Da diese aber in der Regel noch aus weiteren Strukturen bestehen, die den Wassermolekülen Angriffspunkte liefern, zerfallen sie meist rascher.

Der rauchende Colt oder: der Schluss auf die beste Erklärung

Nun ist die Frage nach der Relevanz der verschiedenen Mechanismen derzeit noch offen. Die referierten (und weitere) Forschungsergebnisse legen aber nahe, dass die erstaunliche Stabilität mancher Proteine und Weichteilstrukturen kausal erklärbar ist. BINDER hat darauf eine andere Sicht. Schon die Wortwahl soll suggerieren, dass die betreffenden Ergebnisse ausgesprochen vage, spekulativ und unverbindlich seien.

Er behauptet, es sei "noch kein plausibler Mechanismus aufgezeigt" worden (BINDER 2020, S. 14). An dieser Stelle referiert er den Wissensstand aus dem Jahr 2009, aber wie ist es heute? Heute noch, so meint BINDER, würden die Forscher "Spekulationen" anstellen, eine konservierende Wirkung lediglich "vermuten" oder "unbekannte [sic!] Konservierungsmechanismen" ins Feld führen. Er resümiert:

"Eine große Herausforderung besteht darin, dass bisher noch keine plausible Erklärung für die Erhaltung von empfindlichen Körperbestandteilen von Dinosauriern über die Zeiträume der Erdgeschichte vorliegen." (BINDER 2020, S. 4)

Eine methodologische Einschränkung leistet BINDERs Skepsis scheinbar Vorschub: Die Prozesse, um die es geht, reichen tief in die Vergangenheit. Daher können wir niemals mit Gewissheit sagen, welche der (bzw. ob überhaupt die) beschriebenen Stabilisierungsmechanismen eine Rolle spielten.

Es ist auch schwierig, Langzeiteffekte über 80 Millionen Jahre hinweg kinetisch zu modellieren. Da die Randbedingungen schwankend sind und wir keine Millionen Jahre andauernden Verlaufstests durchführen können, sind immer nur hypothetische Erklärungen möglich. Wie schon der Wissenschaftstheoretiker Karl POPPER sagte, alles Wissen ist Vermutungswissen. Das gilt auch in diesem Fall.

Das bedeutet aber nicht, dass keine plausiblen Mechanismen aufgezeigt worden wären, welche die Stabilisierung organischen Materials zumindest verständlich machen würden. Im Gegenteil, wir kennen eher "zu viele" mögliche Mechanismen und sind uns deshalb noch nicht im Klaren darüber, welche Kombination die Ausschlaggebende ist. Das ist ein himmelweiter Unterschied zu dem, was BINDER unterstellt.

Wenn BINDER freilich nur Erklärungen als plausibel einstuft, die mehr als hypothetischer Natur sind, dann hat er schon per default Recht: Plausible hypothetische Erklärungen (plausible mechanismische Szenarien) sind genau das, was man in diesem Kontext erreichen kann. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

Die oben referierten Szenarien für die Erhaltung empfindlicher Körperbestandteile über Jahrmillionen schöpfen ihre Plausibilität aus:

  • Experimenten, die den stark hemmenden Einfluss bestimmter Randbedingungen auf Zersetzungsprozesse unter Beweis gestellt haben,
  • der (theoretischen) Kenntnis der Stabilisierungsmechanismen, sowie
  • der geologischen bzw. taphonomischen Plausibilität der Randbedingungen.

Tatsächlich waren, um nur ein Beispiel zu nennen, die mesozoischen Weichteilstrukturen mit mineralischen Eisenkonkretionen überzogen. Zudem zeigten die Blutgefäße die typischen Kollagen-Quervernetzungen. Außerdem belegten die spektroskopischen Eigenschaften, dass die bekannte Fenton-Chemie an der Vernetzung beteiligt war (SURMIK et al. 2016; BOATMAN et al. 2019).

Kurz: Der Schluss von der spezifischen Beschaffenheit der Weichgewebe auf die Stabilisierungsmechanismen ist einfach der naheliegende Schluss. Er ist über alle Maßen plausibler als BINDERs Alternative, die mit fast dem gesamten Wissenshintergrund kollidiert.

Es verhält sich so, als würde ein Kommissar am Tatort neben der blutüberströmten Leiche mit Einschussloch den "rauchenden Colt" am Boden finden. Obwohl die Erklärung, dass das Opfer erschossen wurde, ohne Autopsie hypothetisch bliebe, handelte es sich doch um das plausibelste Szenario. Es wäre über alle Maßen plausibler als die These, dass das Opfer etwa an einer Bleivergiftung verstarb. Das gilt zumindest, wenn man die üblichen Rationalitätsstandards gelten lässt:

"Jüngste Studien haben Fenton-Reaktionen als plausiblen Konservierungsmechanismus für Zellen und Weichgewebe in Knochen identifiziert, die chemischen Signaturen von Fenton-Reaktionen in Zellen und Weichgewebe fossiler Knochen dokumentiert und gezeigt, dass eine solche Konservierung früh in der Diagenese stattfindet und durch oxidierende Ablagerungsumgebungen sowie durch den Schutz durch externe Konkremente und andere Faktoren erleichtert wird." (SENTER 2022; ins Deutsche MN)

Binder gewichtet selektiv nur Befunde, die in sein Weltbild passen3)

BINDER erwähnt selbst einige der für eine Langzeitkonservierung in Betracht kommenden Faktoren. Dazu zählt der Umstand, dass die Fossilien "in mittelkörnigem Sandstein einsedimentiert" waren (BINDER 2007). Dabei wurde "aufgrund der Porosität... die Kontaktzeit des fossilisierenden Kadavers mit zerstörenden Flüssigkeiten... reduziert". Er erwähnt sogar die eingangs erwähnte Untersuchung von COLLINS et al. (2000). Dieser Zufolge ist bei Temperaturen unter 10°C eine Erhaltung von Peptidfragmenten aus dem Mesozoikum durchaus möglich!

Zwar übt BINDER (2007) an dieser Studie Kritik. Die Kontrolle fossiler Knochen aus dem Neolithikum habe ergeben, "dass die Erhaltung über weite Bereiche streut und stark vom Zustand des Mineralanteils" abhänge. Daher sei die Zulässigkeit der Extrapolation "zurzeit noch wenig belastbar". Allerdings verdeutlicht er damit selbst, dass der Abbau von Proteinen stark durch die Randbedingungen beeinflusst wird. Damit untergräbt er sein eigenes Fundament, von dem aus er "die zeitliche Zuordnung der geologischen Systeme... begründet in Frage gestellt" sehen möchte.

Weshalb misst BINDER diesem Aspekt in seinem Fazit keine Bedeutung bei? Welche "etablierten Erfahrungen" und "kontrollierbaren Laborbedingungen" verleiten ihn zu seinem Schluss? BINDER gewichtet nur Studien, die vor allem die Kinetik der Hydrolyse in wässriger Lösung untersuchten. Faktoren, die solche Abbaureaktionen enorm verlangsamen oder stoppen, bleiben bei seinem Schluss ad hoc außen vor.

Zusammenfassung

Der evangelikale Verein, dem BINDER angehört, räumt ein, dass seine Argumentation "religiös motiviert" sei. Er nimmt jedoch für sich in Anspruch, der "Methodik der wissenschaftlichen Forschung" Rechnung zu tragen (WORT UND WISSEN 2008). Naturwissenschaft besteht aber nicht nur aus einem Rahmen zum Forschen, in dem bestimmte Methoden zum Einsatz kommen. Wissenschaftliches Vorgehen bemisst sich in erster Linie daran, wie mit den Daten umgegangen wird, die zuvor methodisch erbracht wurden.

Wissenschaft ist ein Prozess des rationalen Abwägens. Theorien müssen bestmöglich objektiv validiert und zu einem stimmigen Gesamtbild zusammengefügt werden. Jede Hypothese muss wie ein weiteres Puzzlestück harmonisch in dieses Bild passen. Passt sie nicht, wird sie verworfen oder überarbeitet. Daran gemessen ist BINDERs Text kein vernünftiger Beitrag zur Wissensfindung.

Naturwissenschaftler suchen nach Interpretationen, die mit dem sich gegenseitig stützenden Theoriensystem angrenzender Wissenschaftsbereiche vereinbar sind und es bereichern. BINDERs Schlussfolgerung stellt dagegen nahezu die Gesamtheit unseres wohletablierten geologischen und tektonischen, evolutionären, kernphysikalischen und kosmologischen Wissens in Frage. Der einzige Grund ist, dass BINDER eine denkbar unplausible Hypothese "retten" möchte. So entwickelt er eine Argumentation, die es ihm gestattet, ein Erdenalter von 10.000 Jahren mit Anspruch auf Geltung zu vertreten. Das funktioniert nicht, ohne gegen das wichtige Wissenschaftskriterium der externen Konsistenz (Kohärenzprinzip) zu verstoßen.

Wir haben gesehen, dass der Kreationismus die Methodologie der Naturwissenschaften sinnentstellend verändert, wenn er a priori getroffene Glaubensentscheidungen über das Kohärenzprinzip stellt. An diesem gemessen ist die "zeitliche Zuordnung der geologischen Systeme", die den Kreationisten vorschwebt, maximal unplausibel. Ungleich plausibler ist es, die Langzeitstabilisierung organischer Materie auf günstige Lagerungsbedingungen in Kombination mit den strukturellen Besonderheiten des Kollagens zurückzuführen. Dafür gibt es, wie in diesem Beitrag erörtert, eine Fülle an plausiblen Szenarien. Diese werden durch Experimente, Berechnungen und durch die taphonomischen Randbedingungen selbst gestützt.

Die "Anomalien", die BINDER anführt, sind Petitessen im Vergleich zu der erdrückenden Belegsituation, gegen die seine alternative Deutung ankämpfen muss. Wissenschaftlich ist sie seit Jahrhunderten diskreditiert, und daran wird sich nichts ändern.

Literatur

ANDERSON, L.A. (2023) A chemical framework for the preservation of fossil vertebrate cells and soft tissues. Earth-Science Reviews 240: 104367.

BAILLEUL, A.M.; ZHENG, W.; HORNER, J.R. et al. (2020) Evidence of proteins, chromosomes and chemical markers of DNA in exceptionally preserved dinosaur cartilage. National Science Review 7, S. 815–822.

BINDER, H. (2007) Proteine aus einem fossilen Oberschenkelknochen von Tyrannosaurus rex. https://www.genesisnet.info/index.php?News=82. Letzter Zugr. a. 27.07.2024.

BINDER, H. (2020) Elastische Gewebereste, Zellbausteine und Proteinfragmente in Dinosaurier-Fossilien. W+W Special Paper B-20-2, https://www.wort-und-wissen.org/wp-content/uploads/b-20-2_dinosaurier.pdf. Letzter Zugr. a. 10.10.2024.

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WORT UND WISSEN (2008) Kurzcharakterisierung wichtiger Ursprungslehren. Die Position der Studiengemeinschaft Wort und Wissen. https://www.wort-und-wissen.org/disk/4-05/. Letzter Zugr. a. 27.07.2024.

YANG, J.; KOJASOY, V.; PORTER, G.J. & RAINES, R.T. (2024) Pauli exclusion by n→p* interactions: implications for paleobiology. ACS Publications. Journal contribution.




Fußnoten

[1] So erfordert das Festhalten an kreationistischen Positionen meist die Konstruktion einer Reihe unbegründeter Hilfsannahmen. Um unliebsame Befunde weg zu erklären, wird zum Beispiel ein enorm beschleunigter radioaktiver Zerfall oder eine vielfach höhere Lichtgeschwindigkeit postuliert. Jede so herbeikonstruierte Annahme zieht in der Regel die Notwendigkeit weiterer Konstrukte nach sich, bis in den Bereich vollkommener Absurdität (HEMMINGER 1988, S. 20).

[2] Vor allem in den USA haben die Funde eine wahre Flut an kreationistischen Publikationen ausgelöst, die den gleichen Tenor haben. Deren Argumentation entkräftet beispielsweise SENTER (2021).

[3] Besonders brisant: Die Kollagen-Reste des Tyrannosaurus-Exemplars ermöglichten die Bestimmung der Aminosäure-Sequenz und den Abgleich mit der Sequenz bei Vögeln. Resultat: Die Untersuchung führte zu genau dem Stammbaum, der zuvor schon anhand morphologischer Merkmale erstellt wurde (ORGAN et al. 2008). Und die Auswertung der Sequenz-Unterschiede über die bekannte Mutationsrate würde zu einem geologischen Alter führen, welches BINDER in seiner Argumentation bestreitet!

Autor: Martin Neukamm

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